Letzte Etappe in Europa
Noch bin ich mit dem Aufhängen der frisch gewaschenen
Fahrradkleider nicht fertig, höre ich ein ächzen
und keuchen hinter meinem Rücken. Ich wende den
Kopf und sehe gerade wie ein grosser, hagerer Mann
sein vollbeladenes Fahrrad samt Anhänger auf
die hinter mir liegende Parzelle schiebt, während
ich ihn in deutscher Sprache schimpfen höre:
"Das gehört doch verboten, so etwas von
einem Strassenbelag. Da hat sich doch wieder einer
die Taschen vollgestopft, statt mit dem ihm anvertrauten
Geld die Strassen asphaltieren zu lassen. Und unserein
kann dann die Karre durch den Dreck schieben, verdammt
noch einmal." Bei diesen Worten stellt er sein
Gefährt gegen einen Baum, entledigt sich seines
Fahrradhelmes und klopft sich mit den Handschuhen
den Staub aus den Kleidern. "Ach ein Schweizer
als Nachbar, das ist ja toll. Endlich mal jemanden,
mit dem man sich in einer vernünftige Sprache
verständigen kann." Dieter, sagt er während
er sich breitspurig vor mich hinstellt und mir die
Hand entgegenstreckt, Dieter aus Neukulm, bin aber
schon eineinhalb Jahre von Zuhause weg. Dieter ist
ein 64 jähriger deutscher Unternehmer der im
Verlauf seines Lebens allerlei Betriebe auf die Beine
gestellt hat. Unter anderem einen Videoverleih, einen
Autoverleih, einen Abschleppdienst und noch einiges,
woran ich mich nicht mehr erinnern kann. Die Scheidungen
von seiner zweiten Frau hat ihn um seinen ganzen Besitz
gebracht und bevor ihm, wie er sagte, die Anwälte
noch den letzten Pfennig aus der Tasche ziehen konnte,
stieg er auf sein Fahrrad und fuhr davon. Die wenigen
Sachen die ihm geblieben waren durfte er bei einem
Freund in einem Schopf unterstellen und der Rest hatte
er bei sich. Dies alles erfahre ich aber erst später.
Vorerst höhre ich seiner weiteren Schimpferei
zu, während er Fahrrad und Anhänger zu entladen
und das Zelt aufzustellen beginnt. "Da will ich
doch im Ort nur noch schnell ein paar Lebensmittel
einkaufen bevor ich auf den Zeltplatz fahre und schon
versinke ich bis zu den Felgen im feinen Sand. Ich
habe geschwitzt wie ein Affe, bis ich mein Fahrrad
wieder auf der Teerstrasse hatte, aber nicht mit mir"
schnauft er, während er verzweifelt versucht
die Kunststoffplane, die der Wind immer wieder in
die Luft heben will, flach am Boden zu halten. "Morgen
gehts weiter, was mir zwar gewaltig gegen den Strich
geht, denn eigentlich bleibe ich an jedem Ort einige
Tage, sonst strengt mich das Reisen zu sehr an, aber
in diesem mühsamen Nest halten mich keine zehn
Pferde länger als einen Tag." Während
ich ihm zuhöre hebe ich einige Gepäckstücke
vom Boden auf um sie auf die Ecken der Folie zu stellen,
so dass sie der Wind nicht immer wieder hochblasen
und zur Seite legen kann. "Gute Idee, Danke"
sagt er, während er mir am Boden kniend ein freundliches
Lächeln zuwirft. "Kriegst danach ein Bier,
einverstanden?" "Einverstanden!" Gebannt
schaue ich ihm zu, wie er sein Fahrzeug entlädt.
Nebst dem Anhänger, der um etwa die Hälfte
grösser ist als meiner, hangen am Fahrrad selbst
noch je zwei Taschen am Vorder- und zwei am Hinterrad.
Hinzu noch eine Tasche auf dem Gepäckträger
und eine gleiche Lenkertasche wie die Meine. Ich kann
mich nicht erinnern, ob er gar noch einen Rucksack
am Rücken trug, meine ja, bin mir aber nicht
mehr ganz sicher. Wenn ich mir vorstelle wie ich noch
vor wenigen Stunden selbst geschwitzt hatte, als ich
mein Fahrrad auf dem Weg zur Kirche durch den Sand
schieben musste, so konnte ich mir gut vorstellen
was für einen Kraftaufwand es erst ihm bei all
diesem Gepäck gekostet haben muss. Beim Auspacken
der Taschen kann ich nicht verhindern dass einige
Male ein erstaunter Ausruf: "Was, das hast du
auch dabei", über meine Lippen kommt, was
er wiederum mit dem Ausruf quittiert: "Du hast
ja keine Ahnung, mit deinem "weniger als nichts"
als Gepäck. Ich habe mich schliesslich zu einer
langen Reise aufgemacht und da muss man halt schon
einiges dabeihaben." Obwohl vollkommen unterschiedlich,
sind wir uns gegenseitig vom ersten Augenblick weg
sympatisch und das gegenseitige "hänseln"
macht uns beiden grossen Spass. So taucht unter anderem
eine hochseetaugliche Angelrute samt Zubehör
auf, ein grosser Sonnenschirm, eine Beschattungsplane,
ein Radio, Kocher mit mehreren Ersatzgaspatronen,
diverses Koch- und Essgeschirr darunter auch eine
Bratpfanne und einiges mehr. Während er dies
feinsäuberlich aufreiht erzählt er mir,
dass er eigentlich viel mehr in den Bergen fahren
wollte, dieses Vorhaben aber auf Grund seines schweren
Gepäckes habe aufgeben müssen. Bei diesen
Worten zeigt er mir ein paar Bergschuhe, die er eben
einer Tasche entnommen hat. Nun musste ich aber lauthals
lachen und sagte: "Nun höhr mal, in die
Berge kannst Du nicht, weil Du zu schweres Gepäck
hast. Was willst du denn mit diesen Bergschuhen".
Darauf antwortet mir Dieter ebenfalls lachend. "Ohne
Bergschuhe ist mein Gepäck leichter und ich kann
in die Berge fahren und wenn ich oben ankomme fehlen
mir dann die richtigen Schuhe. Das ist ja gerade das
Dilemma. Ich kann es machen wie ich will, das Problem
bleibt immer dasselbe und so lasse ich es halt wie
es ist". Nun lachten wir beide aus voller Kehle
und konnten gar nicht mehr aufhören bis uns die
Träne über die Wangen liefen. Die Leute
der Nachbarparzellen blickte alle schon ganz verwundert
zu uns herüber aber das strörte uns wenig.
Dieter reiste am anderen Tag nicht wie angekündigt
weiter. Wir blieben gemeinsam drei Tage in Rossio
mit seinen sandigen Strassen. Gerade dieser ungewohnte
Strassenbelag machten für mich Rossio zu einem
Ort mit einer ganz speziellen Atmosphäre. Die
wenigen Autos die in der Ortschaft unterwegs waren
mussten gezwungenermassen ein überaus langsames
Tempo einschlagen und diese Langsamkeit übertrug
sich irgendwie auf das ganze Leben dieses Städchens.
So herrschte im ganzen Ort ein Klima von Stille und
Gelassenheit und ich fühlte mich dort ausgesprochen
wohl. So war ich oftmals stundenlang zu Fuss in den
Strassen und Gassen unterwegs, besuchte mehrmals die
Kirche, beobachtete Flamingos, Seeadler und viele
andere Vogelarten, Wasserschildkröten und Krebse
am Rande der "Dognana" und kehrte jedesmal
mit frischen Lebensmittel für mich und Dieter
zum Zeltplatz zurück. Dies erspahrte ihm die
unliebsame Berührung mit dem Sand wofür
er mich, obwohl es ihn nicht sonderlich zu interessieren
schien, trotzdem auf die Exkursion ins Naturschutzgebiet
begleitete. Ansonsten konnte er Stundenlang auf seinem
Stuhl vor dem Zelt sitzen, einfach so, ohne nichts
zu tun. Wenn es Zeit war hörte er sich im Radio
die Nachrichten eines deutschen Kurzwellensenders
an und empfing mich bei meiner Rückkehr mit dem
Ausruf: "Sie mal da, das wandelnde Quecksilber
ist zurück". Nachdem wir die Komissionen
abgerechnet hatten folgte das bei ihm obligatorische
schimpfen und meckern. Alles ist mal generell zu teuer,
das Bier in den Dosen schmeckt nicht gleich gut wie
in der Flasche, der Nescafé Clasic kann man
nicht trinken, da ist der Espresso schon um einige
Klassen besser, das Wasser in der Douche ist zu kalt,
das Angebot im Lebensmittelladen des Campingplatz
geradezu zum lachen und erst noch viel zu teuer und
sowieso bestehe ganz Spanien aus lauter Hügel
und Berge. Immer gehe es rauf und runter und sogar
an der Küste wo es eigentlich flach sein sollte
hätten sie es fertigbringen, noch eine Steigung
einzubauen nur um ihn schwitzen zu lassen. Selten
habe ich einen so negativ eingestellten, pessimistischen
Schwarzmaler wie diesen Dieter getroffen und doch
haben die wenigen Tage mit ihm mir wieder einmal mehr
aufgezeigt, dass zwei Menschen wie sie unterschiedlicher
nicht sein, mehr Gemeinsamkeiten haben können
als man beim ersten Anschein vermuten würde.
Ich, der vor lauter Gewichtsoptimierung nur das allernotwendigste
mitgenommen hatte und bereit war, deswegen auf jeglichen
Komfort zu verzichten und Dieter, der um nichts entbehren,
auf nicht verzichten zu müssen und auf alle möglichen
Fälle vorbereitet sein wollte, bereit war, wie
er mir selber erzählte sein Rad mehr zu schieben
als zu fahren und bei jedem Aufbruch Stunden damit
verbrachte, sein ganzes Gepäck zu verstauen.
Sicher hat jeder von den Erfahrungen des andern etwas
profitieren resp. lernen können. Was oder ob
überhaupt ich in diesem Sinne Dieter etwas mit
auf seinen Weg gegeben habe weiss ich nicht. Ich jedenfalls
habe mir in der nächsten Stadt nach einem herzlichen
Abschied von Dieter einen Kocher samt Zubehör,
Kaffepulver, Kondensmilch etwas Olivenöl und
noch einige Kleinigkeiten zugelegt auch wenn ich nun
alles in allem gute 2 Kg mehr herumschleppen muss.
Nur schon der morgendliche Kaffe sind es das Wert
und ich kann fast nicht begreifen, warum ich nur des
Gewichtes wegen so lange darauf vezichtet habe. Aber
war es wirklich nur des Gewichtes wegen? Ich weiss
heute, dass dem nicht so ist, aber das bleibt eine
Sache zwischen mir und mir.
Der nächste Etappenort heisst Sevilla. Wiederum
eine Millionenstadt mit viel Sehenswertem. Für
mich ist aber in diesem Moment erste Priorität
einen Kocher zu finden, was mir nach langem Suchen
glücklicherweise auch gelingt. Stosse ich auf
meinen Spaziergängen dann auf etwas besonders
Interessantes oder Schönes so entschliesse ich
mich spontan zu einer Besichtigung oder melde mich
zu einer Führung an. Das ist aber nicht nur in
Sevilla so, sondern dieses Vorgehen begleitet mich
schon auf meiner ganzen Reise, ja die ganze Reise
selbst verläuft eigentlich nach diesem Muster.
Ich schaue am Vortag auf die Karte, sehe eine Ortschaft
mit einem schönklingenden Namen, eine Sierra
(spanisch - Gebirgszug) der mir beim Anblick auf der
Karte in meiner Fantasie schöne Bilder von gewundenen
Passtrassen, in den Lüften schwebenden Adler
oder wild schäumende Gebirgsbäche hervorzaubert
und schon ist das nächste Etappenziel bestimmt.
Zugegeben, manchmal ist es ein ganz schönes hin
und her und oftmals fahre ich fast im Kreis, aber
das ist nicht sehr wichtig denn der Weg ist ja bekanntlich
auch das Ziel. Und das gleiche gilt auch in den Ortschaften
oder Städte selbst. Plan- und Ziellos spaziere
ich einfach mal drauflos, kreuz und quer, gerade wie
es mir "drum" ist. Manchmal sehe ich über
den Hausdächern eine Kirchspitze auftauchen oder
zuhinterst in einer Gasse ein Tor, so halte ich einfach
mal darauf zu um von dort dann in gleichem Stil weiterzufahren.
Zu sehen gibt es immer mehr als genug, ob im Zentrum,
im Arbeiterviertel oder sonstwo und wenn man lange
genug herumwandert landet man letztendlich vor fast
allen "wichtigen" Sehenswürdigkeiten.
Meine Spaziergänge durch Sevilla bringen mich
zur Kathedrale, die entgegen der von mir bisher Besuchten,
nicht die typisch rechteckige Form mit dem Querschiff
aufweist, sonder in diesem Falle fast quadratisch
und von mir in noch nie gesehene Ausmasse ist. Ich
finde mich auf der Plaza de Toros wieder und schliesse
mich beim ehemaligen Königspalast "Real
Alcázar" einer deutschsprachigen Führung
durch dieses geschichtsträchtige Gemäuer
an. Die "Plaza de España" erfreut
mein Auge durch ihre beeindruckende Architektur und
den wunderschönen Mosaikarbeiten an den über
50 Sitzbänke die jede eine spanischen Stadt gewidmet
ist. Am Boden ersieht man auf eine aus tausenden von
Steinchen zusammengesetzten Landkarte Spaniens die
geographische Lage und am Rücken das Motiv eines
hystorischen Ereignisses dieser jeweiligen Stadt in
der gleichen Mosaiktechnik. Ganz besonders schön
fand ich aber auch hier die grosszügig angelegten
und sehr gepflegten Garten- und Parkanlagen. Von diesen
am allerschönsten fand ich der in der Nähe
der Plaza de España gelegende "Parque
de Maria Luisa". Uralte Baumriesen aus aller
Welt beschatten romantisch angelegte Wege, lauschige
Sitznischen, verspielte Springrunnen und Wasserteiche
mit ihren lustig sprudelnden Wasserspielen. Unter
und zwischen den Bäumen blühen Blumen und
Pflanzen in atemberaubender Farbenpracht und am liebsten
möchte man sich einfach in den frisch geschnittenen
Rasen legen, die vom Blütenduft gesüsste
Luft einatmen und Seele oder Gedanken einfach davonschweben
lassen. Der Rio Guadalquivir fristet dagegen eher
ein Schattendasein. Die Ufer sind schmutzig, ungepflegt
und erinnern oftmals eher an eine Müllhalde.
Ein krasser Gegensatz zu den gepflegten Gärten
der Stadt. Vielleicht liegt der Grund darin, dass
er von einer der Hauptverkehrsstrassen flankiert und
der Fluss damit quasi von der touristisch interessanten
Seite der Stadt abgeschnitten wird. Die Sehenswürdigkeiten
befinden sich ausnahmslos auf nur einer Flusseite
und der Stadtbesucher ist daher gar nie gezwungen,
den "Canal de Alfonso XIII" wie er hier
auch genannt wird, zu überqueren, es sei denn,
er suche einen bestimmten Campingkocher. Alles in
allem hält Sevilla was ihr Ruf verspricht und
ich verlasse diese Stadt um einige Bilder und Eindrücke
reicher und das Gepäck um ein par Kilo schwerer.
Kurz vor dem Start entscheide ich mich, mir das südlichste
Bergmassiv Spaniens ebenfalls anzusehen. So fahre
ich dann ziemlich genau südwärts wo ich
am Nachmittag das am Fuss der Berge und am gleichnamigen
Stausee gelegene Arcos de la Frontera erreiche. Der
Campingplatz ist schnell gefunden und erfreut bemerke
ich, dass er nur ganz dünn bevölkert ist.
Also Gelegenheit, mir den schönsten Platz auszusuchen
und mich gemütlich einzurichten, schliesslich
gilt es ja den neuen Kocher einzuweihen. Gedacht getan.
Punkt 1 - 4 bleiben gleich, d.h. Zelt aufstellen,
Wäscheleine spannen, Douchen, Velokleider waschen
und aufhängen. Punkt 5 wird abgeändert in
Kocher aufstellen und Kaffe kochen. Ich trinke meinen
ersten selbstgebrauten Kaffe auf dieser Reise und
stelle fest. Wirklich eine Supperidee, das mit dem
Kocher. Danke nochmals herzlich Dieter, auch wenn
du nie erfahren wirst, dass du letztendlich Schuld
daran bist das ich ihn gekauft habe! Mit der Kaffeetasse
in der Hand, es ist bereits die Dritte, beobachte
ich gerade einen auf dem Gelände umherfahrenden
Autoconvoy die offensichtlich einen Platz für
ihre Zelte suchen. Nun scheinen sie fündig geworden
zu sein, denn die Fahrzeuge mit spanischen Kennzeichen
halten unter einem mit einem Beschattungsnetz überspannten
Metallgestell. Die Türen fliegen auf und den
Autos entsteigen Personen jeglichen Alters und Geschlecht.
Es ist ein ganzer Familienclan, vor der Grossmutter
über den Schwiegersohn bis zum Kleinkind. Während
aus den Lautsprecher des einen Fahrzeuges, so laut
es die Anlage erlaubt moderne spanische Schlager ertönen
werden die Fahrzeuge entladen. Stück für
Stück wird mir nun vorgeführt, was zu einem
richtige spanischen Campingwochenende gehört.
Als erstes wird vom Dach des einen Autos ein grosser
Kühlschrank gehoben und aufgestellt. Darauf kommt
die Stereoanlage während auf einem weiteren Möbel
der Fernseher platziert wird. Ein metallenes Küchenmöbel
wird mit einer Friteuse und einem Toster bestückt.
An das Gestell mit dem Beschattungsnetz kommen für
die Beleuchtung zuständige Scheinwerfer und Leuchtstofflampen.
Nun folgen Grill, Paelapfanne samt Gaskocher, Pfannen,
Kübel, Behälter sowie mehrere Tische mitsamt
den Stühlen. Ohne Verzögerung treten nun
die "Senoras" in Aktion und beginnen unvezüglich
mit der Kocherei während die Männer sich
mit wichtiger Mine und Angelzeug bewaffnet Richtung
See aus dem Staub machen. Fisch gabe es, glaube ich
wenigstens, trotzdem keinen zum Nachtessen. Die Zelte
werden erst viel später aufgestellt. Sie scheinen
eher eine unwichtige Rolle zu spielen und mir wird
später auch bewusst warum. Ich bin so fasziniert
von diesem ganzen Schauspiel dass ich gar nicht bemerke,
wie sich das gleiche x-fach auf dem ganzen Zeltplatz
wiederholt. Abends um 21.00 Uhr ist der Campingplatz
bis zum letzten Platz belegt und ich habe fast Schwierigkeiten
mein kleines Zelt zwischen all den essenden, lachenden,
tanzenden, kochenden und teilweise schön gröhlenden
Menschen zu finden. Jede Familie hat selbstverständlich
ihre eigene Musik und zwar so laut, dass sie die des
Nachbarn übertönen soll und die Kinder haben
die Lautstärke der Fernseher auf Maximum gestellt,
damit sie auch noch irgend etwas von ihrer Lieblingssendung
mitbekommen. Der Zelt- ist zu einem Festplatz geworden
und vor morgens um vier Uhr ist an Schlaf nicht zu
denken. Irgend einmal ist aber mein Schlafbedarf doch
grösser als der Lärm und ich entschwinde
ins Land der Träume. Wie üblich krieche
ich am Morgen so etwas nach sechs Uhr aus meinem Zelt
und sehe nun, warum das Zeltauftellen zuhinterst auf
der Prioritätsliste stand. Die meisten liegen,
zumeist noch angekleidet irgendwo vor den Zelten am
Boden und schlafen Ihren Tequilla- oder Bierrausch
aus. Nur die Frauen und Kinder scheinen die Zelte
als Schlafplatz zu beanspruchen. Am Sonntag abend
ist dann der ganze Spuk vorbei und nur die Müllberge
erinnern noch daran, das hier vor kurzem noch ein
"Camping al la Iberica" abgehalten wurde.
Im Verlauf meiner Reise habe viel mir auf, dass es
diesbezüglich zwei Arten von Campingplätze
gibt. Die welche eine Hausordnung haben, Musik auf
dem Platz verboten ist, die Fahrzeuge nach Zehn Uhr
draussen Parkiert werden müssen etc. und es gibt
die, welche keine Platzordnung haben und fast alles
erlaubt ist. Während auf dem ersten vorwiegend
ausländische Gäste und selten Spanier anzutreffen
sind ist es beim zweiten gerade umgekehrt. Die meisten
Campeure sind Spanier, während Ausländer
eher seltener anzutreffen. So kann man sich am liebsten.
Viel Rummel oder etwas Schlaf. Haptsächlich gilt
dies an den Wochenenden. Ruhe ist dann ein Fremdwort
und Schlaf Nebensache. Alles in allem hat es aber
viel Spass gemacht zu erleben, wie auf "spanisch"
campiert wird. Jedenfalls war es ein lustiges Erlebniss
und für einmal spielt es ja auch keine Rolle
wenn der Schlaf mal zu kurz kommt. Obwohl vorgewarnt,
bin ich zu einem späteren Zeitpunkt ausgerechnet
wieder an einem Freitag nochmals auf einen solchen
Platz geraten, der den ersten aber noch übertroffen
hat. Dieser muss wohl für besonders kinderfreundlich
bekannt sein denn ich treffe hier auf eine unglaubliche
Menge dieser Nachwuchscampeure. Bandenähnlich
rasen sie lärmend und schreiend durch den ganzen
Platz, bewerfen sich mit wassergefüllten Ballone
wobei auch mal einer das falsche Ziel trifft was dem
Werfer dann einen Fusstritt in den Hintern oder Handschlag
hinter die Ohren einträgt oder bespritzten sich
mit gewehrähnlichen Wasserwerfern. Verfolgen
einen fingierten Feind, fangen, fesseln und führen
ihn ab und zwischendurch fliessen dann auch mal wieder
Tränen. Leider machen die Kinder auch vor den
Parzellen der Fremden, (zum Beispiel vor meiner) nicht
halt und stolperten über die Zeltleinen so dass
mir um mein Zelt Angst und Bange wird. Grund genug
meinem Mund einige derbe Flüche zu entlocken.
Doch wenn die Horde wieder heranrast, sind im allgemeinen
Spielrausch sämtliche Belehrungen inkl. meinen
Flüchen schon wieder vergessen. So fällt
schon bald der erste wieder auf die Nase und meine
Heringe durch die Luft. Am frühen Morgen verlasse
ich den in tiefstem Schlaf versunkenen Platz wieder,
glücklich meine Hab und Gut mit Fluchen, Schimpfen
und Absperrband, mit dem mir der Campingplatzverwalter
freundlicherweise zu Hilfe kam, verteidigt zu haben
und der festen Absicht, mir an den nächsten Wochenenden
Platz und Bewohner besonders genau unter die Lupe
zu nehmen. Obwohl ich das Meer eigentlich meiden wollte
fuhr ich dann trotzdem zur südlichsten Spitze
Europas die nicht wie von mir angenommen in Gibraltar
sondern in Tarifa liegt. Mitten unter den vielen jungen
Surfern (Tarifa ist unter diesen Wellenreitern ein
Begriff, da es dort fast immer guten Wind hat) kahm
ich mir mit meinem Fahrrad im ersten Moment irgendwie
etwas fehl am Platz vor. Doch die vielen Badenden
am Strand, die Surfsegel auf den Wellen, die Fallschirme
in der Luft über dem blau des Wassers und das
farbig-lärmige Nachtleben im Ortszentrum nach
Sonnenuntergang liessen auch bei mir für eine
ganz kurze Zeit so etwas wie Ferienstimmung aufkommen.
Als Zeltnachbarn hatte ich das Glück mit Karlo
und Vera ein Ehepaar aus Dänemark kennenlernen
zu dürfen die mir nebst schönen gemeinsamen
Gesprächen wo ich Karlos Spezialkaffe kosten
durfte, freundlicherweise auch einen Tisch aus ihrem
Wohnwagen zur Verfügung stellten (so wegen dem
Buggeli). Der Besuch von Gibraltar mit seinem berühmten
Affenfelsen absolvierte ich nur, weil ich nun mal
gerade da war und es einfach so dazugehört. Schön
ist Gibraltar in keiner Weise, doch bin ich überrascht
weil unwissend, hier nicht nur eine Militärbasis
sondern eine funktionierende Stadt wie ein kleines
England mit Schulen, Friedhöfen, einer Main Street,
vielen Geschäften (da zollfreier Einkauf) den
verkehrsregelnden Bobbys mit ihren typischen "Gugelhupf-Helmen"
und als Hauptzahlungsmittel englische Pfund anzutreffen.
Die rigorosen Grenzkontrollen bei der Ein- wie auch
Ausreise fand ich dann eher lächerlich und wahrscheindlich
mehr eine Folge der Unstimmigkeiten zwischen England
und Spanien was dieses Kolonialverhältniss betrifft
als die effektive Angst vor Schmuggel. Und die Affen
würden sich vermutlich auch am liebsten aus dem
Staub machen wenn sie wüssten, dass es keine
20 Km zur Küste Afrikas ist. Nach diesem Abstecher
ans Meer zieht es mich aber wieder in die Berge. So
steuere ich mein Rad nordöstlich durch die "Reserva
national de la Frontera" zur in der "Serra
de Ronda" gelegenden Stadt Ronda wo ich ungeplant
zu einer Flamenco-Vorführung komme und bin begeistert.
Unter normalen Umständen währe ich einem
solchen Anlass doch wohl eher ferngeblieben. Nun habe
ich meine Meinung diesbezüglich revidieren müssen
denn dieser energiegeladene Tanz kann einem richtiggehend
unter die Haut gehen und ich bekundete im Verlauf
des Abends Mühe, mich auf meinem Sitz ruhig zu
verhalten. Die einheimischen Zuschauer gaben sich
diese Mühe nicht und riefen immer wieder anerkennende
Rufe dazwischen. In Ronda soll übrigens der erste
Stierkampf überhaupt stattgefunden haben und
gilt demzufolge auch als Geburtsstadt dieses mehr
als fragwürdigen "Sportes". Über
den Puerto del Viento (Pass der Winde) und der "Sierra
de la nieve" (Berge des Schnees) erreiche ich
am folgenden Tag ein inmitten eines Felsmassiv gelegenen
Stausee und übernachte in einem gemischten Pinien-
und Eukalyptuswald mit lichtem Baumbestand am Fusse
einer beeindruckenden, mehrere hundert Meter senkrecht
aufsteigenden Felswand. Ich staune zum wiederholten
Male wie hier das Landschaftsbild von fast dem einen
zum anderen Extrem wechseln kann. Es ist noch keine
Stunde her säumten meinen Weg noch in voller
Frucht stehende Obst- und Gemüseplantagen und
jetzt, nur kurze Zeit später und wenige Kilometer
weiter bildet ein von vielen Schluchten, Rissen und
Höhlen durchsetztes Felsmassiv der Rahmen für
den, in tiefem geheimnissvollen Blau liegende See.
Obwohl mit 1191 Meter der Berg "Huma" die
höchste Erhebung ist sieht es hier nicht anders
aus als bei uns auf der Passhöhe von Gotthard
oder Susten. Ein weiterer Grund mich zu wundern bildet
der Umstand, dass ich wohl einer der wenigen bin,
der sich in diese einerseits wunderschöne und
zum anderen etwas unheimlich anmutende Gegend zu verirren
scheint. Noch während ich einen geeigneten Platz
für mein Zelt suche weckt ein schmaler, an der
Felsflanke vorbeiführender Fusspfad meine Aufmerksahmkeit.
Die Neugierde ist geweckt und kaum steht das Zelt,
begebe ich mich auf Erkundungstour. Der Pfad führt
steil Bergwärts und schon bald liegt die dunkle
Wasseroberfläche tief unter mir. In ihm spiegelt
sich das in der untergehenden Sonne glänzende
Felsmassiv und bildet ein verzaubertes Bild. Ganz
unerwartet finde ich mich plötzlich einer Gemgeiss
mit ihrem Jungen gegenüber. Sie scheinen ebenso
verdutzt zu sein wie ich hier jemanden anzutreffen,
denn sie bleiben beide wie angewurzelt stehen. Die
Felswand ist an dieser Stelle besonders glatt und
so findet das Junge beim Versuch vom Pfad weg die
Wand zu erklimmen keinen Halt und rutscht an den Startplatz
zurück. Die Mutter schnalzt ganz nervös
mit dem Maul und beobachtet ängstlich die Fehlversuche
ihres Nachwuchses. Mich schaudert es bei dem Gedanken,
das Junge könnte aus Angst vor mir in die Tiefe
stürzen. Um es nicht in seiner Nervosität
zu einem unüberlegten Sprung zu verleiten bewege
ich mich vorsichtig einige Schritte rückwärts,
während die Geiss samt Junges dem Pfad langsam
weiter Bergauf folgen. Mittlerweilen habe ich den
verklemmten Reissverschluss meines Rucksack endlich
flott gekriegt, (sie klemmen immer im dümmsten
Augenblick) und meinen Fotoapparat hervorgerahmt.
Im gleichen Moment scheinen die klettergewohnten Tiere
eine geeignete Stelle gefunden zu haben um den Weg
über die hier nicht mehr ganz so steile Wand
verlassen zu können. Bevor ich sie aus den Augen
verliere bleibt mir noch gerade Zeit, zwei Mal den
Auslöser zu betätigen, dann entschwinden
sie hinter dem nächsten Felsvorsprung dem Sucher
meiner Kamera. Ich setze meine Erkundungstour fort
und folge dem Weg der hier noch schmaler geworden
ist weiter bergwärts, bis er an einer quer zum
Weg stehenden und senkrecht abfallenden, glatten Felswand
endet. In diese Wand wurden in irgend einer mir unbekannten
Weise Eisenprofile eingelassen und darüber eine
Holzplanke gelegt. Der nur gerade 50 cm. breite, mit
der rechts senkrecht aufsteigende und links genauso
steil abfallende Felswand und alles auf dem vom Rost
angefressenen Eisträger liegende Wegfortsatz
überfordert dann doch meine Risikobereitschaft.
Leider habe ich niemanden fragen können, für
Wen und Was dieser halsbrecherische Pfad angelegt
wurde und wohin er führen würde aber man
braucht ja auch nicht immer alles zu wissen. Heute
bereue ich ein wenig, nicht mehr Zeit in dieser Gegend
verbracht zu haben. Es hätte noch vieles zu erkunden
und entdecken gegeben, wie zum Beispiel mehrere von
Menschen bewohnten Höhlen die ich auf einem anderen
Pfad entdeckte. Meine nach wie vor immer presente
innere Unruhe haben jedoch zur Fortsetzung der Reise
gedrängt. So setze ich tags darauf meine Fahrt
über die "Sierra de Chimenea" fort
und finde in der "Sierra de Tejeda" an einem
stillen Stausee unter wildwachsenden Olivenbäumen
und jungen Pinien einen gemütlichen Übernachtungsplatz.
Auf einer ersten Erkundungstour begegne ich zwei schönen
Schlangen, mehreren Schildkröten und einigen
Wasservögel. Ich bin darüber so begeistert,
dass ich mich entschliesse, sollte mich die Guardia
Civil (Polizei) und mein immerwährenden Vorwärtsdrang
etwas in Ruhe lassen, einige Tage bleiben zu wollen.
Leider bemerke ich erst als ich das Zelt schon gestellt
und eingeräumt habe, dass meine Lebensmittel
nicht für mehrere Tage reichen werden. Im Gegensatz
zum vorangegangenen Platz scheint dieser See aber
von Menschen fleissiger besucht zu werden. Dies ist
Grund genug, mein Zelt nicht unbeaufsichtigt lassen
zu wollen. So packe ich also alles nochmals zusammen,
belade den Anhänger und fahre zur nächsten
Ortschaft. Diese finde ich nach einer mehrere Kilometer
langen Abfahrt und es macht Spass es wieder einmal
talwärts sausen zu lassen. Während ich es
so Richtung Tal rollen lasse, kommt mir mein Freund
"Housi" und sein altes Radfahrersprichwort
in den Sinn: "Wenn Du auf einem Weg wieder an
den Ursprungsort zurückkehrst, geht es genau
soviel bergab wie es anschliessend bergauf geht."
Ich wusste also was mich erwartet und erst noch zusätzlich
mit den Lebensmitteln beladen. Nichts desto trotz
kaufe ich alles ein was ich brauche und kehre an meinen
Übernachtungsplatz zurück. Bald ist das
Zelt wieder aufgestellt und eingerichtet. Mit einrichten
meine ich die Matte aufblasen und den Schlafsack ausbreiten.
Als letztes noch Platzieren des liebgewonnenen, schönen
blauen Kopfkissen, das mir mein Sohn Marco von meinen
Brüdern nach Portugal mitbringen liess. Danach
heisst es Steine für die Feuerstelle herbeitragen,
Feuerstelle bauen und Brennholz sammeln. Vom letzteren
ist am Ufer des Sees in Form von Schwemmholz jede
Menge zu finden. Gerade hebe ich ein grösseres
von Wasser und Sonne gebleichtes Holzstück vom
sandigen Uferboden auf, als mir eine pfeilschnell
an mir vorbeikriechende Schlage den Herzschlag leicht
erhöht, etwa auf das doppelte, mindestens. Nachdem
ich mich vom ersten Schreck erholt habe nehme ich
die Verfolgung des sich davonschlängelnden Reptils
auf. Ich möchte doch wenigstens zu bestimmen
versuchen um was für eine Art es sich dabei handeln
könnte. Aufgrund fehlen jeglicher Versteckmöglichkeit
habe ich genügend Zeit ihre schöne, feingemusterte
Zeichnung sowie ihre elegante und geschmeidige Vorwärtsbewegung
zu bewundern bevor sie dann doch noch eine Erdspalte
findet um sich darin meinem Blicke zu entziehen. Ich
glaube, und Housi möge mir verzeihen wenn ich
falsch liegen könnte, das schöne Exemplar
einer Schlingnatter erkannt zu haben. Langsam neigt
sich der rötliche Ball der Sonne sich dem von
den felsigen Bergspitzen der "Sierra de Pera"
mit dem "Monte Cristiano" gebildeten Horizont
entgegen und kündet das Ende des Tages an. Ich
entzünde das Lagerfeuer und setze Wasser für
die zum Nachtessen vorgesehenen Maccaroni nach Art
des Hauses resp. eben des Campers aufs Feuer. Wem
es nicht weitererzählt, verrate ich noch die
Zutaten für die dazu vorgesehene Spezialsauce
in Form von Olivenoel extra Virgen, 1 ganzen Zwiebel,
2 - 3 grosse Knoblauchzehen, eine Messerspitze voll
Chayennepfeffer, etwas Salz und Basilikum. Schmeckt
ausgezeichnet und lässt jede Mücke in Narkose
fallen bevor sie zum Stechen ansetzen kann. Auf die
Geschmacksnerven von Reisegefährten brauche ich
auch keine Rücksicht zu nehmen und so genehmige
ich mir heute sogar 2 zusätzliche Ration Knoblauch,
wegen des Schrecken und dem Herz. Während des
Essens habe ich das Gefühl, irgend jemand werfe
Steinchen nach meinem Zelt, jedenfalls hörte
es sich so an. Obwohl ich mich genau umsehe, kann
ich nirgendwo jemanden entdecken. Letztendlich stehe
ich auf und sehe ebenfalls hinter den nächsten
Büschen nach. Vergeblich, nichts zu sehen, und
trotzdem, das Geräusch bleibt. In unregelmässigen
Abständen höre ich bei meinem Zelt ein deutliches
Tock.....Tock........Tock, Tock. Nun will ich es aber
genau wissen, hole die Taschlampe aus dem Zelt, mittlerweilen
ist es bereits dunkel geworden, und beginne den Olivenbaum
unter welchem ich mein Zelt gestellt habe, sorgfälltig
abzusuchen. Und Tatsächlich entdecke ich die
Sünder in Form zweier ausgewachsener Ratten die
gemütlich im Geäst sitzen und trotz meiner
Lampe weiter genüsslich die jungen Oliven verzehren,
wobei sie die Fruchtsteine einfach rüchsichtslos
auf mein Behausung fallen lassen. Nun weiss ich Bescheid,
das heisst, ich bin noch um etwas Schlauer, denn dass
sich Ratten von Oliven ernähren wusste ich bisher
nicht. So kann ich mein Nachtessen nun auch fortsetzen
und bin gewarnt, meine Lebensmittel während der
Nacht nicht einfach draussen stehen zu lassen. Nach
zwei Tagen muss ich trotz der schönen Gegend
und meinen Freunden auf dem Olivenbaum einfach weiter.
Ich werde bereits am Nachmittag ganz unruhig und kribbelig
und kenne dieses Symtom nur allzugut. Der Morgen wartete
mit einem besonderen Leckerbissen auf mich, nähmlich
mit einer Steigung, wie ich sie bis heute noch nie
gefahren habe. Das man eine so steile Strasse überhaupt
bauen konnte war mir bereits ein Rätsel. Im kleinsten
mir zur Verfügung stehende Gang schaffe ich es
gerade mal vielleicht 100 Meter, danach muss ich absteigen
und tief durchatmen. Nachdem ich etwas warmgefahren
bin werden die Etappen etwas länger. Trotzdem
muss ich zum ersten Mal auf meiner Reise unzählige
Male die Füsse auf den Boden stellen, um eine
Steigung zu überwinden und gebe zu, mir hier
nicht nur die Zähne ausgebissen sondern richtig
gelitten zu haben. Belohnt werde ich dann für
diese Anstrengung mit der Ankunft in der schönen
Stadt Granada am späteren Abend. Meine Stadtbesichtigung
beginnt wie üblich frühmorgens in den Gassen
der Altstadt. Mehr im Unterbewusstsein nehme ich,
nachdem ich einige Gassen durchschlendert habe, den
feinen in der Luft liegende Geruch von Seifenwasser
auf. Augenblicklich wird mein Geist in meine Jugendzeit
zurückbefördert und vor meinem geistigen
Auge entsteht ein Bild aus längst vergangener
Zeit. Geliebte Ferien bei unseren Verwandten in der
Toscana. Es ist Sommer und obwohl früher Morgen
schon recht warm. Mein Onkel führt gerade den
grossen schwarzweissen Ochsen vom Stall auf den grossen,
quadratischen und mit glatten Natursteinplatten ausgelegten
Dreschplatz vor dem Haus um ihn vor den Karren zu
spannen. Ich höre meine Tante wie sie mit ihrem
typischen bibibibi die Hühner und Truthähne
anlockt, die sich augenblicklich um ihre Füsse
scharen. Ich sehe, wie sie in den unter ihrem Arm
geklemmten, geflochtenen Korb langt um diesem die
Körner zu entnehmen und vor dem Federvieh auf
den Boden auszustreuen. Meine andere Tante hantiert
mit dem Besen um den übergrossen Holztisch an
welchem sich die ganze Familie samt gerade anwesende
Freunde und Verwadte jeweils zum essen trifft. Ich
erblicke weiter meine Mutter, wie sie gerade mit einem
grossen, wäschegefüllten Weidenkorb aus
dem Haus tritt um sich zum Waschtrog zu begeben, wo
meine Grossmutter, neben ihr ein Berg von frischgewaschener
Bettwäsche auf der Steinbank auf Nachschub wartet.
Und über dem ganzen Bild liegt der unverwechselbare
Geruch dieser grossen goldgelben Stück Seife,
welches meine Grossmutter in ihrer von Lauge und Wasser
ganz schrullig gewordenen Hand hält. Mit Ausnahme
meiner Mutter sind sie alle nicht mehr. Sind Sandra
schon vor Jahren vorausgegangen. Ob sie einander wohl
schon getroffen haben? Mit was werden sie in diesem
Augenblick wohl beschäftigt sein? Können
sie mich sehen und diesen erinnerungsgeladenen Duft
auch riechen?
Vor mir kippt gerade eine Frau ihren Wascheimer voller
Seifenwasser in den Strassengraben nachdem sie den
Gehsteig vor ihrem Geschäft damit gewaschen hatte
so wie das wohl alle tun, wie ich aus dem nassen Bodenbelag
vor den Verkaufslokalen entnehmen kann. Planlos durchwandere
ich die mit Klopfsteinpflaster belegten Gassen. Während
ich mir die alten Häuser, verträumte, kleinen
Plätze und üppiggrüne, winzige Parkanlagen
ansehe erweckt ein neuer Duft meine Aufmerksamkeit.
Es ist der unverwechselbare Geruch von Räucherstäbchen
der je weiter ich gehe, desto intensiver in meine
Nase steigt. Gleichzeitig erreicht mein Ohr zuerst
kaum hörbar aber mit jedem weiteren Schritt immer
deutlicher, orientalische Klänge. Die Fassaden
der Boutiquen sind behängt mit in allen Farben
leuchtenden Kleidern und Tüchern, am Boden stehen
Wasserpfeiffen, allerlei Sandalen, Lederhocker, silberne
Teekannen, Gefässe aus glänzendem Messing
aller Art, typisch orientalischen Schmuck und vieles
mehr. Die Luft ist geschwängert vom intensiven
Duft orientalischer Gewürze und über dem
ganzen wehen die verzaubernden Klänge der orientalischen
Blas- und Saiteninstrumente. 1001 Nacht, wieviel Zauber
und Geheimniss liegt doch in dieser Zahl. Nirgends
in Spanien ist der maurische Einfluss besser Seh-
und Hörbar als in Granada. Kein Wunder, wurde
doch diese Stadt, nachdem das maurische Heer im Jahre
um 700 nChr. im bestreben Europa zu erobern und erst
in Südfrankreich von den christlichen Königen
gestoppt werden konnte, zum maurischen Stützpunkt
in Europa erklärt. Spanien blieb währen
einigen hundert Jahren unter der Herrschaft verschiedener
Sultane und konnte sich nur durch viele überaus
blutige Kriege von dieser Fremdherrschaft befreien.
Gerade Dieser aber verdankt die iberische Halbinsel
so viele grossartige Bauten unter vielen Anderen das
wohl bekannteste, die Alhambra von Granada. Die auf
einem strategisch äusserst günstig vor der
Stadt gelegenen Hügel von einem Sultan im Jahre
um 700 n.Ch. erbaute Festungsanlage wurde im Verlauf
der Jahrhunderte zuerst von den verschiendenen maurischen
und dann später christlichen Herrschern aus-
und umgebaut, erweitert, teilweise abgerissen, wieder
neu erbaut bis dieser wohl weltweit in seiner Art
einizigartige Ort mit den grosszügigen und einer
vielzahl von Pflanzen bestückten Parkanlagen,
den Befestigungsmauern und Türmen, den Bädern
und den in der damaligen Handwerkskunst alles übertreffende
Sultanpalast mit seinen reich verzierten Wänden
und Decken, entstanden ist. Nachdem ich die Stadt
kreuz und quer durchstreift habe kann ich mir sehr
gut vorstellen, dass es sehr viele Menschen gibt die
speziell nur nach Granada reisen um die in grossem
Masse gebotenen Sehenswürdigkeiten zu bewundern.
Dass es wirklich viele Touristen sind kann man aus
der Tatsache erkennen, dass die Besucherzahl für
die Besichtigung der Allhambra auf 7700 Personen pro
Tag beschränkt werden musste. Trotz allem, mein
Bedarf an Kirchen, Schlösser und Parkanlagen
ist bald einmal gedeckt und so werde ich Morgen, einen
Tag nach unserem Nationalfeiertag, diese zugegebenermassen
schöne Stadt verlassen und nichts hält mich
hier zurück, weder Räucherstäbchen
noch Seifenduft.
Nachtrag:
Eben erhalte ich von meinem Sohn Marco die wundervolle
Nachricht, dass er ganz unerwartet seine Traumstelle
nun doch noch erhalten hat. Endlich, endlich kann
er nun nach langem hin und her und vielen vergeblichen
Versuchen jetzt die Arbeit verrichten, die ihm so
sehr gefällt und auch seinem eigentlichen Wesen
entspricht. Ich freue mich so sehr für ihn dass
ich es in Worten gar nicht auszudrücken vermag.
Meine Gebete sind erhört worden gerade als ich
anfing, daran zu zweifeln. Ich schäme mich und
erkenne, wie klein doch noch immer mein Glaube ist.
Von Granada aus umfahre ich die Westspitze um an
die Südflanke der Sierra Nevada zu gelangen dessen
schneebedeckte Gipfel mir in der Morgensonne schon
von weitem entgegenleuchten. Geplant ist der Aufstieg
von Pampaneira aus auf den mit 3398 m angegebenen
Passübergang am Pico Veleta. Leider wurde der
Weg kurz vorher gesperrt. Er sei in einem zu schlechten
Zustand und es habe in letzter Zeit zuviele Unfälle
gegeben. Nun gut, oder auch nicht. Es ist nun mal
so, sage ich mir, nichts zu machen und setze die Fahrt
auf der hoch an der Bergflanke verlaufenden Strasse
fort.
Die Sierra überquere ich dann zwei Tage später
über den "Puerto de la Ragua" so früh
am Morgen, dass ich weder bein Aufstieg noch der Abfahrt
einer Menschenseele begegne. Noch bevor ich das Tal
erreiche erblicke ich schon von weit oben die gerade
durch die Schlachten mit dem islamischen Heer geschichtsträchtig
gewordene Ortschaft "Calahorra". In leuchtendem
Ocker tront unübersehbar über dem Städtchen
ihre, in ihrer eigentümlichen, kompackten, vor
allem aber ungewöhnlichen Bauweise auffallende
Festung. Übrigens, jedem "Charlton Heston"
und "El Cid" Fan ist Calahorra sicher ein
Begriff. Ehrlich gesagt hat die Sierra Nevada keinen
besonderen Eindruck bei mir hinterlassen. Sie unterscheidet
sich kaum von den vielen voran besuchten Naturschutzgebiete
vielleicht mit Ausnahme der Gipfelhöhen. Für
ein Naturschutzgebiet wird dort für meinen Geschmack
viel zuviel Land- und Fortswirtschaft betrieben und
irgendwie gelingt es immer wieder dem einen oder anderen
dank wahrscheindlich guter Beziehungen eine Bewilligung
für sein Ferienhäuschen zu erhalten. Jedenfalls
ist die Bautätigkeit für ein Naturschutzgebiet
beträchtlich. Also, ein neues Ziel muss her.
Beim studieren der Landkarte sticht mir oben rechts
ein grüner Fleck ins Auge. Ich lese "Sierra
de Cazorla" "Sierra de Segura" "Sierra
de Alcaraz" zudem zeigt mir die Reliefzeichnung
jenste Erhebungen und Berge. Besonders anziehend finde
ich aber die vielen in diesem Gebietg auf die Karte
aufgedruckten Steinböcke. Sie ziehen mich regelrecht
magisch an, das heisst, die Route ist gewählt.
Was ich am Etappenziel antreffe ist ein Naturschutzgebiet,
das seinen Namen voll verdient und zum ersten Mal
auf meiner Reise kann ich den ursprünglichen
Urwald der iberischen Halbinsel in einer sehr grossen
Ausdehnung bewundern. Ein grosses Glück wiederfährt
mir aber auch, als mir ein Schäfer dem ich etwas
geholfen hatte den Einstieg zu einem wenig bekannten
Bergpfad der üblicherweise nur von der Naturschutzaufsicht
begangen wird zeigt. Es ist ein schweisstreibender
Pfad der sich auf über 1800 Meter bergwärts
schlängelt und mich mitten in dieses wunderschöne
Gebiet bringt. Das Überfahren der grossen Steine
werfen mich oftmals fast aus dem Gleichgewicht und
einige Male muss ich Rad und Anhänger über
grössere Hindernisse heben. Während zweier
Tage sehe ich keinen einzigen Menschen dafür
so viele verschiedene, wildlebende Tiere wie noch
nie zuvor.Ich beobachte mehrmals grössere Gruppen
zweier verschidener Hirscharten, Männchen, Weibchen
und Jungtiere (weiss die Fachausdrücke dafür
nicht) , Rehe, Gemsen, Steinböcke, Adler, Geier,
Falken, diverse andere Vogelarten, Eidechsen und Schlangen.
Mit etwas Bedauern und Wehmuth bin ich am dritten
Tag wieder im Tal gelandet, habe mich auf einem Campingplatz
eingerichtet, wieder einmal ausgiebig geduscht und
die Kleider gewaschen. Das Ziel für den nächsten
Tag habe ich danach bei einem Bier mit dem "Parque
national de la Muela" festgelegt und schon bald
darauf ist es auch schon Zeit, mich aufs Ohr zu legen.
Der Tag beginnt wie jeder andere doch während
ich so fahre und meinen Gedanken nachgehe fühle
ich plötzlich den grossen Drang, dieses Land
zu verlassen. Es gab während meiner Reise vieles
was mir missfallen hat, da ist der permanent mit dem
unmöglichsten Müll gefüllte Strassengraben
an welchem ich mich immer grün und blau geärgert
habe nur eines davon. Aber ich will hier auf eine
Aufzählung aller Ärgernisse während
meinem Spanienaufenthalt bewusst verzichten, denn
ich habe auch viel Schönes sehen und gute Erfahrungen
sammeln dürfen. Zudem ist es ganz wichtig sich
immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass diese sichtbaren
Zeichen negativem Verhalten immer nur durch eine uneinsichtige
und unverbesserliche Minderheit verursacht werden.
Trotzdem, ich habe genug und zwar soffort. So halte
ich an der nächsten Strassenkreuzung an, konsultiere
die Karte, werfe alle Routenpläne über den
Haufen und nehme den direkten Weg nach Madrid. Über
die Stadt selbst kann ich nicht viel anderes sagen
als was ich über die anderen grossen Orte bereits
geschrieben habe. Nur dass die spanische Hauptstadt
noch um eine Nummer grösser ist und die Fahrt
der letzten 15 Km bis zum Stadtzentrum sich für
mich als Radfahrer als reinstes lebensgefährliches
Spiessrutenlaufen entpuppte. Hier endet meine kleine
"Südeuropatour" nach genau 6336 gefahrenen
Kilometern, zwei Hinterreifen, einem Vorderreifen,
einer Kette und einem Zahnkranz.
Nachtrag:
Die Nasenlöcher schwarz von den Autoabgasen
und die Haut klebrig vom Schweiss halte ich bei der
ersten mich anlachenden Gartenwirtschaft im Stadtzentrum
an und genehmige mir quasi als Belohnung ein schönes
Bier. Am Tisch neben mir spricht man deutsch. Ein
älteres Ehepaar unterhält sich ganz angeregt
bei einem Glas Rotwein. Auf ihrem Tisch liegt eine
deutsche Zeitschrift und die Überschrift zieht
meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Es ist der "Slogan"
für ein Land und meine Entscheidung fällt
augenblicklich. Das muss und will ich kennenlernen.
Gleich neben dem Restaurant entdecke ich auch ein
Reisebüro. Die Angestellte schaut mich etwas
ungläubig an, kein Wunder in meiner Aufmachung,
stellt mir aber gleichwohl das gewünschte Flugticket
zu meiner neuen Destination aus. So ist die Entscheidung
über meine Weiterreise gefallen noch bevor ich
eigentlich richtig in Madrid angekommen bin. Abflug
Montag, 16. August kurz nach Mittag. Alles hat sich
so gefügt, nein noch wundervoller, als ich vermutet
habe. "Sandra, du bisch es richtigs Spatzimausi"
Wohin die Reise geht? Im nächsten Bericht werde
ich Euch von dort erzählen!
Ich grüsse und umarme Euch alle herzlich
Curi
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