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Letzte Etappe in Europa

Noch bin ich mit dem Aufhängen der frisch gewaschenen Fahrradkleider nicht fertig, höre ich ein ächzen und keuchen hinter meinem Rücken. Ich wende den Kopf und sehe gerade wie ein grosser, hagerer Mann sein vollbeladenes Fahrrad samt Anhänger auf die hinter mir liegende Parzelle schiebt, während ich ihn in deutscher Sprache schimpfen höre: "Das gehört doch verboten, so etwas von einem Strassenbelag. Da hat sich doch wieder einer die Taschen vollgestopft, statt mit dem ihm anvertrauten Geld die Strassen asphaltieren zu lassen. Und unserein kann dann die Karre durch den Dreck schieben, verdammt noch einmal." Bei diesen Worten stellt er sein Gefährt gegen einen Baum, entledigt sich seines Fahrradhelmes und klopft sich mit den Handschuhen den Staub aus den Kleidern. "Ach ein Schweizer als Nachbar, das ist ja toll. Endlich mal jemanden, mit dem man sich in einer vernünftige Sprache verständigen kann." Dieter, sagt er während er sich breitspurig vor mich hinstellt und mir die Hand entgegenstreckt, Dieter aus Neukulm, bin aber schon eineinhalb Jahre von Zuhause weg. Dieter ist ein 64 jähriger deutscher Unternehmer der im Verlauf seines Lebens allerlei Betriebe auf die Beine gestellt hat. Unter anderem einen Videoverleih, einen Autoverleih, einen Abschleppdienst und noch einiges, woran ich mich nicht mehr erinnern kann. Die Scheidungen von seiner zweiten Frau hat ihn um seinen ganzen Besitz gebracht und bevor ihm, wie er sagte, die Anwälte noch den letzten Pfennig aus der Tasche ziehen konnte, stieg er auf sein Fahrrad und fuhr davon. Die wenigen Sachen die ihm geblieben waren durfte er bei einem Freund in einem Schopf unterstellen und der Rest hatte er bei sich. Dies alles erfahre ich aber erst später. Vorerst höhre ich seiner weiteren Schimpferei zu, während er Fahrrad und Anhänger zu entladen und das Zelt aufzustellen beginnt. "Da will ich doch im Ort nur noch schnell ein paar Lebensmittel einkaufen bevor ich auf den Zeltplatz fahre und schon versinke ich bis zu den Felgen im feinen Sand. Ich habe geschwitzt wie ein Affe, bis ich mein Fahrrad wieder auf der Teerstrasse hatte, aber nicht mit mir" schnauft er, während er verzweifelt versucht die Kunststoffplane, die der Wind immer wieder in die Luft heben will, flach am Boden zu halten. "Morgen gehts weiter, was mir zwar gewaltig gegen den Strich geht, denn eigentlich bleibe ich an jedem Ort einige Tage, sonst strengt mich das Reisen zu sehr an, aber in diesem mühsamen Nest halten mich keine zehn Pferde länger als einen Tag." Während ich ihm zuhöre hebe ich einige Gepäckstücke vom Boden auf um sie auf die Ecken der Folie zu stellen, so dass sie der Wind nicht immer wieder hochblasen und zur Seite legen kann. "Gute Idee, Danke" sagt er, während er mir am Boden kniend ein freundliches Lächeln zuwirft. "Kriegst danach ein Bier, einverstanden?" "Einverstanden!" Gebannt schaue ich ihm zu, wie er sein Fahrzeug entlädt. Nebst dem Anhänger, der um etwa die Hälfte grösser ist als meiner, hangen am Fahrrad selbst noch je zwei Taschen am Vorder- und zwei am Hinterrad. Hinzu noch eine Tasche auf dem Gepäckträger und eine gleiche Lenkertasche wie die Meine. Ich kann mich nicht erinnern, ob er gar noch einen Rucksack am Rücken trug, meine ja, bin mir aber nicht mehr ganz sicher. Wenn ich mir vorstelle wie ich noch vor wenigen Stunden selbst geschwitzt hatte, als ich mein Fahrrad auf dem Weg zur Kirche durch den Sand schieben musste, so konnte ich mir gut vorstellen was für einen Kraftaufwand es erst ihm bei all diesem Gepäck gekostet haben muss. Beim Auspacken der Taschen kann ich nicht verhindern dass einige Male ein erstaunter Ausruf: "Was, das hast du auch dabei", über meine Lippen kommt, was er wiederum mit dem Ausruf quittiert: "Du hast ja keine Ahnung, mit deinem "weniger als nichts" als Gepäck. Ich habe mich schliesslich zu einer langen Reise aufgemacht und da muss man halt schon einiges dabeihaben." Obwohl vollkommen unterschiedlich, sind wir uns gegenseitig vom ersten Augenblick weg sympatisch und das gegenseitige "hänseln" macht uns beiden grossen Spass. So taucht unter anderem eine hochseetaugliche Angelrute samt Zubehör auf, ein grosser Sonnenschirm, eine Beschattungsplane, ein Radio, Kocher mit mehreren Ersatzgaspatronen, diverses Koch- und Essgeschirr darunter auch eine Bratpfanne und einiges mehr. Während er dies feinsäuberlich aufreiht erzählt er mir, dass er eigentlich viel mehr in den Bergen fahren wollte, dieses Vorhaben aber auf Grund seines schweren Gepäckes habe aufgeben müssen. Bei diesen Worten zeigt er mir ein paar Bergschuhe, die er eben einer Tasche entnommen hat. Nun musste ich aber lauthals lachen und sagte: "Nun höhr mal, in die Berge kannst Du nicht, weil Du zu schweres Gepäck hast. Was willst du denn mit diesen Bergschuhen". Darauf antwortet mir Dieter ebenfalls lachend. "Ohne Bergschuhe ist mein Gepäck leichter und ich kann in die Berge fahren und wenn ich oben ankomme fehlen mir dann die richtigen Schuhe. Das ist ja gerade das Dilemma. Ich kann es machen wie ich will, das Problem bleibt immer dasselbe und so lasse ich es halt wie es ist". Nun lachten wir beide aus voller Kehle und konnten gar nicht mehr aufhören bis uns die Träne über die Wangen liefen. Die Leute der Nachbarparzellen blickte alle schon ganz verwundert zu uns herüber aber das strörte uns wenig. Dieter reiste am anderen Tag nicht wie angekündigt weiter. Wir blieben gemeinsam drei Tage in Rossio mit seinen sandigen Strassen. Gerade dieser ungewohnte Strassenbelag machten für mich Rossio zu einem Ort mit einer ganz speziellen Atmosphäre. Die wenigen Autos die in der Ortschaft unterwegs waren mussten gezwungenermassen ein überaus langsames Tempo einschlagen und diese Langsamkeit übertrug sich irgendwie auf das ganze Leben dieses Städchens. So herrschte im ganzen Ort ein Klima von Stille und Gelassenheit und ich fühlte mich dort ausgesprochen wohl. So war ich oftmals stundenlang zu Fuss in den Strassen und Gassen unterwegs, besuchte mehrmals die Kirche, beobachtete Flamingos, Seeadler und viele andere Vogelarten, Wasserschildkröten und Krebse am Rande der "Dognana" und kehrte jedesmal mit frischen Lebensmittel für mich und Dieter zum Zeltplatz zurück. Dies erspahrte ihm die unliebsame Berührung mit dem Sand wofür er mich, obwohl es ihn nicht sonderlich zu interessieren schien, trotzdem auf die Exkursion ins Naturschutzgebiet begleitete. Ansonsten konnte er Stundenlang auf seinem Stuhl vor dem Zelt sitzen, einfach so, ohne nichts zu tun. Wenn es Zeit war hörte er sich im Radio die Nachrichten eines deutschen Kurzwellensenders an und empfing mich bei meiner Rückkehr mit dem Ausruf: "Sie mal da, das wandelnde Quecksilber ist zurück". Nachdem wir die Komissionen abgerechnet hatten folgte das bei ihm obligatorische schimpfen und meckern. Alles ist mal generell zu teuer, das Bier in den Dosen schmeckt nicht gleich gut wie in der Flasche, der Nescafé Clasic kann man nicht trinken, da ist der Espresso schon um einige Klassen besser, das Wasser in der Douche ist zu kalt, das Angebot im Lebensmittelladen des Campingplatz geradezu zum lachen und erst noch viel zu teuer und sowieso bestehe ganz Spanien aus lauter Hügel und Berge. Immer gehe es rauf und runter und sogar an der Küste wo es eigentlich flach sein sollte hätten sie es fertigbringen, noch eine Steigung einzubauen nur um ihn schwitzen zu lassen. Selten habe ich einen so negativ eingestellten, pessimistischen Schwarzmaler wie diesen Dieter getroffen und doch haben die wenigen Tage mit ihm mir wieder einmal mehr aufgezeigt, dass zwei Menschen wie sie unterschiedlicher nicht sein, mehr Gemeinsamkeiten haben können als man beim ersten Anschein vermuten würde. Ich, der vor lauter Gewichtsoptimierung nur das allernotwendigste mitgenommen hatte und bereit war, deswegen auf jeglichen Komfort zu verzichten und Dieter, der um nichts entbehren, auf nicht verzichten zu müssen und auf alle möglichen Fälle vorbereitet sein wollte, bereit war, wie er mir selber erzählte sein Rad mehr zu schieben als zu fahren und bei jedem Aufbruch Stunden damit verbrachte, sein ganzes Gepäck zu verstauen. Sicher hat jeder von den Erfahrungen des andern etwas profitieren resp. lernen können. Was oder ob überhaupt ich in diesem Sinne Dieter etwas mit auf seinen Weg gegeben habe weiss ich nicht. Ich jedenfalls habe mir in der nächsten Stadt nach einem herzlichen Abschied von Dieter einen Kocher samt Zubehör, Kaffepulver, Kondensmilch etwas Olivenöl und noch einige Kleinigkeiten zugelegt auch wenn ich nun alles in allem gute 2 Kg mehr herumschleppen muss. Nur schon der morgendliche Kaffe sind es das Wert und ich kann fast nicht begreifen, warum ich nur des Gewichtes wegen so lange darauf vezichtet habe. Aber war es wirklich nur des Gewichtes wegen? Ich weiss heute, dass dem nicht so ist, aber das bleibt eine Sache zwischen mir und mir.

Der nächste Etappenort heisst Sevilla. Wiederum eine Millionenstadt mit viel Sehenswertem. Für mich ist aber in diesem Moment erste Priorität einen Kocher zu finden, was mir nach langem Suchen glücklicherweise auch gelingt. Stosse ich auf meinen Spaziergängen dann auf etwas besonders Interessantes oder Schönes so entschliesse ich mich spontan zu einer Besichtigung oder melde mich zu einer Führung an. Das ist aber nicht nur in Sevilla so, sondern dieses Vorgehen begleitet mich schon auf meiner ganzen Reise, ja die ganze Reise selbst verläuft eigentlich nach diesem Muster. Ich schaue am Vortag auf die Karte, sehe eine Ortschaft mit einem schönklingenden Namen, eine Sierra (spanisch - Gebirgszug) der mir beim Anblick auf der Karte in meiner Fantasie schöne Bilder von gewundenen Passtrassen, in den Lüften schwebenden Adler oder wild schäumende Gebirgsbäche hervorzaubert und schon ist das nächste Etappenziel bestimmt. Zugegeben, manchmal ist es ein ganz schönes hin und her und oftmals fahre ich fast im Kreis, aber das ist nicht sehr wichtig denn der Weg ist ja bekanntlich auch das Ziel. Und das gleiche gilt auch in den Ortschaften oder Städte selbst. Plan- und Ziellos spaziere ich einfach mal drauflos, kreuz und quer, gerade wie es mir "drum" ist. Manchmal sehe ich über den Hausdächern eine Kirchspitze auftauchen oder zuhinterst in einer Gasse ein Tor, so halte ich einfach mal darauf zu um von dort dann in gleichem Stil weiterzufahren. Zu sehen gibt es immer mehr als genug, ob im Zentrum, im Arbeiterviertel oder sonstwo und wenn man lange genug herumwandert landet man letztendlich vor fast allen "wichtigen" Sehenswürdigkeiten. Meine Spaziergänge durch Sevilla bringen mich zur Kathedrale, die entgegen der von mir bisher Besuchten, nicht die typisch rechteckige Form mit dem Querschiff aufweist, sonder in diesem Falle fast quadratisch und von mir in noch nie gesehene Ausmasse ist. Ich finde mich auf der Plaza de Toros wieder und schliesse mich beim ehemaligen Königspalast "Real Alcázar" einer deutschsprachigen Führung durch dieses geschichtsträchtige Gemäuer an. Die "Plaza de España" erfreut mein Auge durch ihre beeindruckende Architektur und den wunderschönen Mosaikarbeiten an den über 50 Sitzbänke die jede eine spanischen Stadt gewidmet ist. Am Boden ersieht man auf eine aus tausenden von Steinchen zusammengesetzten Landkarte Spaniens die geographische Lage und am Rücken das Motiv eines hystorischen Ereignisses dieser jeweiligen Stadt in der gleichen Mosaiktechnik. Ganz besonders schön fand ich aber auch hier die grosszügig angelegten und sehr gepflegten Garten- und Parkanlagen. Von diesen am allerschönsten fand ich der in der Nähe der Plaza de España gelegende "Parque de Maria Luisa". Uralte Baumriesen aus aller Welt beschatten romantisch angelegte Wege, lauschige Sitznischen, verspielte Springrunnen und Wasserteiche mit ihren lustig sprudelnden Wasserspielen. Unter und zwischen den Bäumen blühen Blumen und Pflanzen in atemberaubender Farbenpracht und am liebsten möchte man sich einfach in den frisch geschnittenen Rasen legen, die vom Blütenduft gesüsste Luft einatmen und Seele oder Gedanken einfach davonschweben lassen. Der Rio Guadalquivir fristet dagegen eher ein Schattendasein. Die Ufer sind schmutzig, ungepflegt und erinnern oftmals eher an eine Müllhalde. Ein krasser Gegensatz zu den gepflegten Gärten der Stadt. Vielleicht liegt der Grund darin, dass er von einer der Hauptverkehrsstrassen flankiert und der Fluss damit quasi von der touristisch interessanten Seite der Stadt abgeschnitten wird. Die Sehenswürdigkeiten befinden sich ausnahmslos auf nur einer Flusseite und der Stadtbesucher ist daher gar nie gezwungen, den "Canal de Alfonso XIII" wie er hier auch genannt wird, zu überqueren, es sei denn, er suche einen bestimmten Campingkocher. Alles in allem hält Sevilla was ihr Ruf verspricht und ich verlasse diese Stadt um einige Bilder und Eindrücke reicher und das Gepäck um ein par Kilo schwerer. Kurz vor dem Start entscheide ich mich, mir das südlichste Bergmassiv Spaniens ebenfalls anzusehen. So fahre ich dann ziemlich genau südwärts wo ich am Nachmittag das am Fuss der Berge und am gleichnamigen Stausee gelegene Arcos de la Frontera erreiche. Der Campingplatz ist schnell gefunden und erfreut bemerke ich, dass er nur ganz dünn bevölkert ist. Also Gelegenheit, mir den schönsten Platz auszusuchen und mich gemütlich einzurichten, schliesslich gilt es ja den neuen Kocher einzuweihen. Gedacht getan. Punkt 1 - 4 bleiben gleich, d.h. Zelt aufstellen, Wäscheleine spannen, Douchen, Velokleider waschen und aufhängen. Punkt 5 wird abgeändert in Kocher aufstellen und Kaffe kochen. Ich trinke meinen ersten selbstgebrauten Kaffe auf dieser Reise und stelle fest. Wirklich eine Supperidee, das mit dem Kocher. Danke nochmals herzlich Dieter, auch wenn du nie erfahren wirst, dass du letztendlich Schuld daran bist das ich ihn gekauft habe! Mit der Kaffeetasse in der Hand, es ist bereits die Dritte, beobachte ich gerade einen auf dem Gelände umherfahrenden Autoconvoy die offensichtlich einen Platz für ihre Zelte suchen. Nun scheinen sie fündig geworden zu sein, denn die Fahrzeuge mit spanischen Kennzeichen halten unter einem mit einem Beschattungsnetz überspannten Metallgestell. Die Türen fliegen auf und den Autos entsteigen Personen jeglichen Alters und Geschlecht. Es ist ein ganzer Familienclan, vor der Grossmutter über den Schwiegersohn bis zum Kleinkind. Während aus den Lautsprecher des einen Fahrzeuges, so laut es die Anlage erlaubt moderne spanische Schlager ertönen werden die Fahrzeuge entladen. Stück für Stück wird mir nun vorgeführt, was zu einem richtige spanischen Campingwochenende gehört. Als erstes wird vom Dach des einen Autos ein grosser Kühlschrank gehoben und aufgestellt. Darauf kommt die Stereoanlage während auf einem weiteren Möbel der Fernseher platziert wird. Ein metallenes Küchenmöbel wird mit einer Friteuse und einem Toster bestückt. An das Gestell mit dem Beschattungsnetz kommen für die Beleuchtung zuständige Scheinwerfer und Leuchtstofflampen. Nun folgen Grill, Paelapfanne samt Gaskocher, Pfannen, Kübel, Behälter sowie mehrere Tische mitsamt den Stühlen. Ohne Verzögerung treten nun die "Senoras" in Aktion und beginnen unvezüglich mit der Kocherei während die Männer sich mit wichtiger Mine und Angelzeug bewaffnet Richtung See aus dem Staub machen. Fisch gabe es, glaube ich wenigstens, trotzdem keinen zum Nachtessen. Die Zelte werden erst viel später aufgestellt. Sie scheinen eher eine unwichtige Rolle zu spielen und mir wird später auch bewusst warum. Ich bin so fasziniert von diesem ganzen Schauspiel dass ich gar nicht bemerke, wie sich das gleiche x-fach auf dem ganzen Zeltplatz wiederholt. Abends um 21.00 Uhr ist der Campingplatz bis zum letzten Platz belegt und ich habe fast Schwierigkeiten mein kleines Zelt zwischen all den essenden, lachenden, tanzenden, kochenden und teilweise schön gröhlenden Menschen zu finden. Jede Familie hat selbstverständlich ihre eigene Musik und zwar so laut, dass sie die des Nachbarn übertönen soll und die Kinder haben die Lautstärke der Fernseher auf Maximum gestellt, damit sie auch noch irgend etwas von ihrer Lieblingssendung mitbekommen. Der Zelt- ist zu einem Festplatz geworden und vor morgens um vier Uhr ist an Schlaf nicht zu denken. Irgend einmal ist aber mein Schlafbedarf doch grösser als der Lärm und ich entschwinde ins Land der Träume. Wie üblich krieche ich am Morgen so etwas nach sechs Uhr aus meinem Zelt und sehe nun, warum das Zeltauftellen zuhinterst auf der Prioritätsliste stand. Die meisten liegen, zumeist noch angekleidet irgendwo vor den Zelten am Boden und schlafen Ihren Tequilla- oder Bierrausch aus. Nur die Frauen und Kinder scheinen die Zelte als Schlafplatz zu beanspruchen. Am Sonntag abend ist dann der ganze Spuk vorbei und nur die Müllberge erinnern noch daran, das hier vor kurzem noch ein "Camping al la Iberica" abgehalten wurde. Im Verlauf meiner Reise habe viel mir auf, dass es diesbezüglich zwei Arten von Campingplätze gibt. Die welche eine Hausordnung haben, Musik auf dem Platz verboten ist, die Fahrzeuge nach Zehn Uhr draussen Parkiert werden müssen etc. und es gibt die, welche keine Platzordnung haben und fast alles erlaubt ist. Während auf dem ersten vorwiegend ausländische Gäste und selten Spanier anzutreffen sind ist es beim zweiten gerade umgekehrt. Die meisten Campeure sind Spanier, während Ausländer eher seltener anzutreffen. So kann man sich am liebsten. Viel Rummel oder etwas Schlaf. Haptsächlich gilt dies an den Wochenenden. Ruhe ist dann ein Fremdwort und Schlaf Nebensache. Alles in allem hat es aber viel Spass gemacht zu erleben, wie auf "spanisch" campiert wird. Jedenfalls war es ein lustiges Erlebniss und für einmal spielt es ja auch keine Rolle wenn der Schlaf mal zu kurz kommt. Obwohl vorgewarnt, bin ich zu einem späteren Zeitpunkt ausgerechnet wieder an einem Freitag nochmals auf einen solchen Platz geraten, der den ersten aber noch übertroffen hat. Dieser muss wohl für besonders kinderfreundlich bekannt sein denn ich treffe hier auf eine unglaubliche Menge dieser Nachwuchscampeure. Bandenähnlich rasen sie lärmend und schreiend durch den ganzen Platz, bewerfen sich mit wassergefüllten Ballone wobei auch mal einer das falsche Ziel trifft was dem Werfer dann einen Fusstritt in den Hintern oder Handschlag hinter die Ohren einträgt oder bespritzten sich mit gewehrähnlichen Wasserwerfern. Verfolgen einen fingierten Feind, fangen, fesseln und führen ihn ab und zwischendurch fliessen dann auch mal wieder Tränen. Leider machen die Kinder auch vor den Parzellen der Fremden, (zum Beispiel vor meiner) nicht halt und stolperten über die Zeltleinen so dass mir um mein Zelt Angst und Bange wird. Grund genug meinem Mund einige derbe Flüche zu entlocken. Doch wenn die Horde wieder heranrast, sind im allgemeinen Spielrausch sämtliche Belehrungen inkl. meinen Flüchen schon wieder vergessen. So fällt schon bald der erste wieder auf die Nase und meine Heringe durch die Luft. Am frühen Morgen verlasse ich den in tiefstem Schlaf versunkenen Platz wieder, glücklich meine Hab und Gut mit Fluchen, Schimpfen und Absperrband, mit dem mir der Campingplatzverwalter freundlicherweise zu Hilfe kam, verteidigt zu haben und der festen Absicht, mir an den nächsten Wochenenden Platz und Bewohner besonders genau unter die Lupe zu nehmen. Obwohl ich das Meer eigentlich meiden wollte fuhr ich dann trotzdem zur südlichsten Spitze Europas die nicht wie von mir angenommen in Gibraltar sondern in Tarifa liegt. Mitten unter den vielen jungen Surfern (Tarifa ist unter diesen Wellenreitern ein Begriff, da es dort fast immer guten Wind hat) kahm ich mir mit meinem Fahrrad im ersten Moment irgendwie etwas fehl am Platz vor. Doch die vielen Badenden am Strand, die Surfsegel auf den Wellen, die Fallschirme in der Luft über dem blau des Wassers und das farbig-lärmige Nachtleben im Ortszentrum nach Sonnenuntergang liessen auch bei mir für eine ganz kurze Zeit so etwas wie Ferienstimmung aufkommen. Als Zeltnachbarn hatte ich das Glück mit Karlo und Vera ein Ehepaar aus Dänemark kennenlernen zu dürfen die mir nebst schönen gemeinsamen Gesprächen wo ich Karlos Spezialkaffe kosten durfte, freundlicherweise auch einen Tisch aus ihrem Wohnwagen zur Verfügung stellten (so wegen dem Buggeli). Der Besuch von Gibraltar mit seinem berühmten Affenfelsen absolvierte ich nur, weil ich nun mal gerade da war und es einfach so dazugehört. Schön ist Gibraltar in keiner Weise, doch bin ich überrascht weil unwissend, hier nicht nur eine Militärbasis sondern eine funktionierende Stadt wie ein kleines England mit Schulen, Friedhöfen, einer Main Street, vielen Geschäften (da zollfreier Einkauf) den verkehrsregelnden Bobbys mit ihren typischen "Gugelhupf-Helmen" und als Hauptzahlungsmittel englische Pfund anzutreffen. Die rigorosen Grenzkontrollen bei der Ein- wie auch Ausreise fand ich dann eher lächerlich und wahrscheindlich mehr eine Folge der Unstimmigkeiten zwischen England und Spanien was dieses Kolonialverhältniss betrifft als die effektive Angst vor Schmuggel. Und die Affen würden sich vermutlich auch am liebsten aus dem Staub machen wenn sie wüssten, dass es keine 20 Km zur Küste Afrikas ist. Nach diesem Abstecher ans Meer zieht es mich aber wieder in die Berge. So steuere ich mein Rad nordöstlich durch die "Reserva national de la Frontera" zur in der "Serra de Ronda" gelegenden Stadt Ronda wo ich ungeplant zu einer Flamenco-Vorführung komme und bin begeistert. Unter normalen Umständen währe ich einem solchen Anlass doch wohl eher ferngeblieben. Nun habe ich meine Meinung diesbezüglich revidieren müssen denn dieser energiegeladene Tanz kann einem richtiggehend unter die Haut gehen und ich bekundete im Verlauf des Abends Mühe, mich auf meinem Sitz ruhig zu verhalten. Die einheimischen Zuschauer gaben sich diese Mühe nicht und riefen immer wieder anerkennende Rufe dazwischen. In Ronda soll übrigens der erste Stierkampf überhaupt stattgefunden haben und gilt demzufolge auch als Geburtsstadt dieses mehr als fragwürdigen "Sportes". Über den Puerto del Viento (Pass der Winde) und der "Sierra de la nieve" (Berge des Schnees) erreiche ich am folgenden Tag ein inmitten eines Felsmassiv gelegenen Stausee und übernachte in einem gemischten Pinien- und Eukalyptuswald mit lichtem Baumbestand am Fusse einer beeindruckenden, mehrere hundert Meter senkrecht aufsteigenden Felswand. Ich staune zum wiederholten Male wie hier das Landschaftsbild von fast dem einen zum anderen Extrem wechseln kann. Es ist noch keine Stunde her säumten meinen Weg noch in voller Frucht stehende Obst- und Gemüseplantagen und jetzt, nur kurze Zeit später und wenige Kilometer weiter bildet ein von vielen Schluchten, Rissen und Höhlen durchsetztes Felsmassiv der Rahmen für den, in tiefem geheimnissvollen Blau liegende See. Obwohl mit 1191 Meter der Berg "Huma" die höchste Erhebung ist sieht es hier nicht anders aus als bei uns auf der Passhöhe von Gotthard oder Susten. Ein weiterer Grund mich zu wundern bildet der Umstand, dass ich wohl einer der wenigen bin, der sich in diese einerseits wunderschöne und zum anderen etwas unheimlich anmutende Gegend zu verirren scheint. Noch während ich einen geeigneten Platz für mein Zelt suche weckt ein schmaler, an der Felsflanke vorbeiführender Fusspfad meine Aufmerksahmkeit. Die Neugierde ist geweckt und kaum steht das Zelt, begebe ich mich auf Erkundungstour. Der Pfad führt steil Bergwärts und schon bald liegt die dunkle Wasseroberfläche tief unter mir. In ihm spiegelt sich das in der untergehenden Sonne glänzende Felsmassiv und bildet ein verzaubertes Bild. Ganz unerwartet finde ich mich plötzlich einer Gemgeiss mit ihrem Jungen gegenüber. Sie scheinen ebenso verdutzt zu sein wie ich hier jemanden anzutreffen, denn sie bleiben beide wie angewurzelt stehen. Die Felswand ist an dieser Stelle besonders glatt und so findet das Junge beim Versuch vom Pfad weg die Wand zu erklimmen keinen Halt und rutscht an den Startplatz zurück. Die Mutter schnalzt ganz nervös mit dem Maul und beobachtet ängstlich die Fehlversuche ihres Nachwuchses. Mich schaudert es bei dem Gedanken, das Junge könnte aus Angst vor mir in die Tiefe stürzen. Um es nicht in seiner Nervosität zu einem unüberlegten Sprung zu verleiten bewege ich mich vorsichtig einige Schritte rückwärts, während die Geiss samt Junges dem Pfad langsam weiter Bergauf folgen. Mittlerweilen habe ich den verklemmten Reissverschluss meines Rucksack endlich flott gekriegt, (sie klemmen immer im dümmsten Augenblick) und meinen Fotoapparat hervorgerahmt. Im gleichen Moment scheinen die klettergewohnten Tiere eine geeignete Stelle gefunden zu haben um den Weg über die hier nicht mehr ganz so steile Wand verlassen zu können. Bevor ich sie aus den Augen verliere bleibt mir noch gerade Zeit, zwei Mal den Auslöser zu betätigen, dann entschwinden sie hinter dem nächsten Felsvorsprung dem Sucher meiner Kamera. Ich setze meine Erkundungstour fort und folge dem Weg der hier noch schmaler geworden ist weiter bergwärts, bis er an einer quer zum Weg stehenden und senkrecht abfallenden, glatten Felswand endet. In diese Wand wurden in irgend einer mir unbekannten Weise Eisenprofile eingelassen und darüber eine Holzplanke gelegt. Der nur gerade 50 cm. breite, mit der rechts senkrecht aufsteigende und links genauso steil abfallende Felswand und alles auf dem vom Rost angefressenen Eisträger liegende Wegfortsatz überfordert dann doch meine Risikobereitschaft. Leider habe ich niemanden fragen können, für Wen und Was dieser halsbrecherische Pfad angelegt wurde und wohin er führen würde aber man braucht ja auch nicht immer alles zu wissen. Heute bereue ich ein wenig, nicht mehr Zeit in dieser Gegend verbracht zu haben. Es hätte noch vieles zu erkunden und entdecken gegeben, wie zum Beispiel mehrere von Menschen bewohnten Höhlen die ich auf einem anderen Pfad entdeckte. Meine nach wie vor immer presente innere Unruhe haben jedoch zur Fortsetzung der Reise gedrängt. So setze ich tags darauf meine Fahrt über die "Sierra de Chimenea" fort und finde in der "Sierra de Tejeda" an einem stillen Stausee unter wildwachsenden Olivenbäumen und jungen Pinien einen gemütlichen Übernachtungsplatz. Auf einer ersten Erkundungstour begegne ich zwei schönen Schlangen, mehreren Schildkröten und einigen Wasservögel. Ich bin darüber so begeistert, dass ich mich entschliesse, sollte mich die Guardia Civil (Polizei) und mein immerwährenden Vorwärtsdrang etwas in Ruhe lassen, einige Tage bleiben zu wollen. Leider bemerke ich erst als ich das Zelt schon gestellt und eingeräumt habe, dass meine Lebensmittel nicht für mehrere Tage reichen werden. Im Gegensatz zum vorangegangenen Platz scheint dieser See aber von Menschen fleissiger besucht zu werden. Dies ist Grund genug, mein Zelt nicht unbeaufsichtigt lassen zu wollen. So packe ich also alles nochmals zusammen, belade den Anhänger und fahre zur nächsten Ortschaft. Diese finde ich nach einer mehrere Kilometer langen Abfahrt und es macht Spass es wieder einmal talwärts sausen zu lassen. Während ich es so Richtung Tal rollen lasse, kommt mir mein Freund "Housi" und sein altes Radfahrersprichwort in den Sinn: "Wenn Du auf einem Weg wieder an den Ursprungsort zurückkehrst, geht es genau soviel bergab wie es anschliessend bergauf geht." Ich wusste also was mich erwartet und erst noch zusätzlich mit den Lebensmitteln beladen. Nichts desto trotz kaufe ich alles ein was ich brauche und kehre an meinen Übernachtungsplatz zurück. Bald ist das Zelt wieder aufgestellt und eingerichtet. Mit einrichten meine ich die Matte aufblasen und den Schlafsack ausbreiten. Als letztes noch Platzieren des liebgewonnenen, schönen blauen Kopfkissen, das mir mein Sohn Marco von meinen Brüdern nach Portugal mitbringen liess. Danach heisst es Steine für die Feuerstelle herbeitragen, Feuerstelle bauen und Brennholz sammeln. Vom letzteren ist am Ufer des Sees in Form von Schwemmholz jede Menge zu finden. Gerade hebe ich ein grösseres von Wasser und Sonne gebleichtes Holzstück vom sandigen Uferboden auf, als mir eine pfeilschnell an mir vorbeikriechende Schlage den Herzschlag leicht erhöht, etwa auf das doppelte, mindestens. Nachdem ich mich vom ersten Schreck erholt habe nehme ich die Verfolgung des sich davonschlängelnden Reptils auf. Ich möchte doch wenigstens zu bestimmen versuchen um was für eine Art es sich dabei handeln könnte. Aufgrund fehlen jeglicher Versteckmöglichkeit habe ich genügend Zeit ihre schöne, feingemusterte Zeichnung sowie ihre elegante und geschmeidige Vorwärtsbewegung zu bewundern bevor sie dann doch noch eine Erdspalte findet um sich darin meinem Blicke zu entziehen. Ich glaube, und Housi möge mir verzeihen wenn ich falsch liegen könnte, das schöne Exemplar einer Schlingnatter erkannt zu haben. Langsam neigt sich der rötliche Ball der Sonne sich dem von den felsigen Bergspitzen der "Sierra de Pera" mit dem "Monte Cristiano" gebildeten Horizont entgegen und kündet das Ende des Tages an. Ich entzünde das Lagerfeuer und setze Wasser für die zum Nachtessen vorgesehenen Maccaroni nach Art des Hauses resp. eben des Campers aufs Feuer. Wem es nicht weitererzählt, verrate ich noch die Zutaten für die dazu vorgesehene Spezialsauce in Form von Olivenoel extra Virgen, 1 ganzen Zwiebel, 2 - 3 grosse Knoblauchzehen, eine Messerspitze voll Chayennepfeffer, etwas Salz und Basilikum. Schmeckt ausgezeichnet und lässt jede Mücke in Narkose fallen bevor sie zum Stechen ansetzen kann. Auf die Geschmacksnerven von Reisegefährten brauche ich auch keine Rücksicht zu nehmen und so genehmige ich mir heute sogar 2 zusätzliche Ration Knoblauch, wegen des Schrecken und dem Herz. Während des Essens habe ich das Gefühl, irgend jemand werfe Steinchen nach meinem Zelt, jedenfalls hörte es sich so an. Obwohl ich mich genau umsehe, kann ich nirgendwo jemanden entdecken. Letztendlich stehe ich auf und sehe ebenfalls hinter den nächsten Büschen nach. Vergeblich, nichts zu sehen, und trotzdem, das Geräusch bleibt. In unregelmässigen Abständen höre ich bei meinem Zelt ein deutliches Tock.....Tock........Tock, Tock. Nun will ich es aber genau wissen, hole die Taschlampe aus dem Zelt, mittlerweilen ist es bereits dunkel geworden, und beginne den Olivenbaum unter welchem ich mein Zelt gestellt habe, sorgfälltig abzusuchen. Und Tatsächlich entdecke ich die Sünder in Form zweier ausgewachsener Ratten die gemütlich im Geäst sitzen und trotz meiner Lampe weiter genüsslich die jungen Oliven verzehren, wobei sie die Fruchtsteine einfach rüchsichtslos auf mein Behausung fallen lassen. Nun weiss ich Bescheid, das heisst, ich bin noch um etwas Schlauer, denn dass sich Ratten von Oliven ernähren wusste ich bisher nicht. So kann ich mein Nachtessen nun auch fortsetzen und bin gewarnt, meine Lebensmittel während der Nacht nicht einfach draussen stehen zu lassen. Nach zwei Tagen muss ich trotz der schönen Gegend und meinen Freunden auf dem Olivenbaum einfach weiter. Ich werde bereits am Nachmittag ganz unruhig und kribbelig und kenne dieses Symtom nur allzugut. Der Morgen wartete mit einem besonderen Leckerbissen auf mich, nähmlich mit einer Steigung, wie ich sie bis heute noch nie gefahren habe. Das man eine so steile Strasse überhaupt bauen konnte war mir bereits ein Rätsel. Im kleinsten mir zur Verfügung stehende Gang schaffe ich es gerade mal vielleicht 100 Meter, danach muss ich absteigen und tief durchatmen. Nachdem ich etwas warmgefahren bin werden die Etappen etwas länger. Trotzdem muss ich zum ersten Mal auf meiner Reise unzählige Male die Füsse auf den Boden stellen, um eine Steigung zu überwinden und gebe zu, mir hier nicht nur die Zähne ausgebissen sondern richtig gelitten zu haben. Belohnt werde ich dann für diese Anstrengung mit der Ankunft in der schönen Stadt Granada am späteren Abend. Meine Stadtbesichtigung beginnt wie üblich frühmorgens in den Gassen der Altstadt. Mehr im Unterbewusstsein nehme ich, nachdem ich einige Gassen durchschlendert habe, den feinen in der Luft liegende Geruch von Seifenwasser auf. Augenblicklich wird mein Geist in meine Jugendzeit zurückbefördert und vor meinem geistigen Auge entsteht ein Bild aus längst vergangener Zeit. Geliebte Ferien bei unseren Verwandten in der Toscana. Es ist Sommer und obwohl früher Morgen schon recht warm. Mein Onkel führt gerade den grossen schwarzweissen Ochsen vom Stall auf den grossen, quadratischen und mit glatten Natursteinplatten ausgelegten Dreschplatz vor dem Haus um ihn vor den Karren zu spannen. Ich höre meine Tante wie sie mit ihrem typischen bibibibi die Hühner und Truthähne anlockt, die sich augenblicklich um ihre Füsse scharen. Ich sehe, wie sie in den unter ihrem Arm geklemmten, geflochtenen Korb langt um diesem die Körner zu entnehmen und vor dem Federvieh auf den Boden auszustreuen. Meine andere Tante hantiert mit dem Besen um den übergrossen Holztisch an welchem sich die ganze Familie samt gerade anwesende Freunde und Verwadte jeweils zum essen trifft. Ich erblicke weiter meine Mutter, wie sie gerade mit einem grossen, wäschegefüllten Weidenkorb aus dem Haus tritt um sich zum Waschtrog zu begeben, wo meine Grossmutter, neben ihr ein Berg von frischgewaschener Bettwäsche auf der Steinbank auf Nachschub wartet. Und über dem ganzen Bild liegt der unverwechselbare Geruch dieser grossen goldgelben Stück Seife, welches meine Grossmutter in ihrer von Lauge und Wasser ganz schrullig gewordenen Hand hält. Mit Ausnahme meiner Mutter sind sie alle nicht mehr. Sind Sandra schon vor Jahren vorausgegangen. Ob sie einander wohl schon getroffen haben? Mit was werden sie in diesem Augenblick wohl beschäftigt sein? Können sie mich sehen und diesen erinnerungsgeladenen Duft auch riechen?

Vor mir kippt gerade eine Frau ihren Wascheimer voller Seifenwasser in den Strassengraben nachdem sie den Gehsteig vor ihrem Geschäft damit gewaschen hatte so wie das wohl alle tun, wie ich aus dem nassen Bodenbelag vor den Verkaufslokalen entnehmen kann. Planlos durchwandere ich die mit Klopfsteinpflaster belegten Gassen. Während ich mir die alten Häuser, verträumte, kleinen Plätze und üppiggrüne, winzige Parkanlagen ansehe erweckt ein neuer Duft meine Aufmerksamkeit. Es ist der unverwechselbare Geruch von Räucherstäbchen der je weiter ich gehe, desto intensiver in meine Nase steigt. Gleichzeitig erreicht mein Ohr zuerst kaum hörbar aber mit jedem weiteren Schritt immer deutlicher, orientalische Klänge. Die Fassaden der Boutiquen sind behängt mit in allen Farben leuchtenden Kleidern und Tüchern, am Boden stehen Wasserpfeiffen, allerlei Sandalen, Lederhocker, silberne Teekannen, Gefässe aus glänzendem Messing aller Art, typisch orientalischen Schmuck und vieles mehr. Die Luft ist geschwängert vom intensiven Duft orientalischer Gewürze und über dem ganzen wehen die verzaubernden Klänge der orientalischen Blas- und Saiteninstrumente. 1001 Nacht, wieviel Zauber und Geheimniss liegt doch in dieser Zahl. Nirgends in Spanien ist der maurische Einfluss besser Seh- und Hörbar als in Granada. Kein Wunder, wurde doch diese Stadt, nachdem das maurische Heer im Jahre um 700 nChr. im bestreben Europa zu erobern und erst in Südfrankreich von den christlichen Königen gestoppt werden konnte, zum maurischen Stützpunkt in Europa erklärt. Spanien blieb währen einigen hundert Jahren unter der Herrschaft verschiedener Sultane und konnte sich nur durch viele überaus blutige Kriege von dieser Fremdherrschaft befreien. Gerade Dieser aber verdankt die iberische Halbinsel so viele grossartige Bauten unter vielen Anderen das wohl bekannteste, die Alhambra von Granada. Die auf einem strategisch äusserst günstig vor der Stadt gelegenen Hügel von einem Sultan im Jahre um 700 n.Ch. erbaute Festungsanlage wurde im Verlauf der Jahrhunderte zuerst von den verschiendenen maurischen und dann später christlichen Herrschern aus- und umgebaut, erweitert, teilweise abgerissen, wieder neu erbaut bis dieser wohl weltweit in seiner Art einizigartige Ort mit den grosszügigen und einer vielzahl von Pflanzen bestückten Parkanlagen, den Befestigungsmauern und Türmen, den Bädern und den in der damaligen Handwerkskunst alles übertreffende Sultanpalast mit seinen reich verzierten Wänden und Decken, entstanden ist. Nachdem ich die Stadt kreuz und quer durchstreift habe kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es sehr viele Menschen gibt die speziell nur nach Granada reisen um die in grossem Masse gebotenen Sehenswürdigkeiten zu bewundern. Dass es wirklich viele Touristen sind kann man aus der Tatsache erkennen, dass die Besucherzahl für die Besichtigung der Allhambra auf 7700 Personen pro Tag beschränkt werden musste. Trotz allem, mein Bedarf an Kirchen, Schlösser und Parkanlagen ist bald einmal gedeckt und so werde ich Morgen, einen Tag nach unserem Nationalfeiertag, diese zugegebenermassen schöne Stadt verlassen und nichts hält mich hier zurück, weder Räucherstäbchen noch Seifenduft.

Nachtrag:

Eben erhalte ich von meinem Sohn Marco die wundervolle Nachricht, dass er ganz unerwartet seine Traumstelle nun doch noch erhalten hat. Endlich, endlich kann er nun nach langem hin und her und vielen vergeblichen Versuchen jetzt die Arbeit verrichten, die ihm so sehr gefällt und auch seinem eigentlichen Wesen entspricht. Ich freue mich so sehr für ihn dass ich es in Worten gar nicht auszudrücken vermag. Meine Gebete sind erhört worden gerade als ich anfing, daran zu zweifeln. Ich schäme mich und erkenne, wie klein doch noch immer mein Glaube ist.

Von Granada aus umfahre ich die Westspitze um an die Südflanke der Sierra Nevada zu gelangen dessen schneebedeckte Gipfel mir in der Morgensonne schon von weitem entgegenleuchten. Geplant ist der Aufstieg von Pampaneira aus auf den mit 3398 m angegebenen Passübergang am Pico Veleta. Leider wurde der Weg kurz vorher gesperrt. Er sei in einem zu schlechten Zustand und es habe in letzter Zeit zuviele Unfälle gegeben. Nun gut, oder auch nicht. Es ist nun mal so, sage ich mir, nichts zu machen und setze die Fahrt auf der hoch an der Bergflanke verlaufenden Strasse fort.

Die Sierra überquere ich dann zwei Tage später über den "Puerto de la Ragua" so früh am Morgen, dass ich weder bein Aufstieg noch der Abfahrt einer Menschenseele begegne. Noch bevor ich das Tal erreiche erblicke ich schon von weit oben die gerade durch die Schlachten mit dem islamischen Heer geschichtsträchtig gewordene Ortschaft "Calahorra". In leuchtendem Ocker tront unübersehbar über dem Städtchen ihre, in ihrer eigentümlichen, kompackten, vor allem aber ungewöhnlichen Bauweise auffallende Festung. Übrigens, jedem "Charlton Heston" und "El Cid" Fan ist Calahorra sicher ein Begriff. Ehrlich gesagt hat die Sierra Nevada keinen besonderen Eindruck bei mir hinterlassen. Sie unterscheidet sich kaum von den vielen voran besuchten Naturschutzgebiete vielleicht mit Ausnahme der Gipfelhöhen. Für ein Naturschutzgebiet wird dort für meinen Geschmack viel zuviel Land- und Fortswirtschaft betrieben und irgendwie gelingt es immer wieder dem einen oder anderen dank wahrscheindlich guter Beziehungen eine Bewilligung für sein Ferienhäuschen zu erhalten. Jedenfalls ist die Bautätigkeit für ein Naturschutzgebiet beträchtlich. Also, ein neues Ziel muss her. Beim studieren der Landkarte sticht mir oben rechts ein grüner Fleck ins Auge. Ich lese "Sierra de Cazorla" "Sierra de Segura" "Sierra de Alcaraz" zudem zeigt mir die Reliefzeichnung jenste Erhebungen und Berge. Besonders anziehend finde ich aber die vielen in diesem Gebietg auf die Karte aufgedruckten Steinböcke. Sie ziehen mich regelrecht magisch an, das heisst, die Route ist gewählt. Was ich am Etappenziel antreffe ist ein Naturschutzgebiet, das seinen Namen voll verdient und zum ersten Mal auf meiner Reise kann ich den ursprünglichen Urwald der iberischen Halbinsel in einer sehr grossen Ausdehnung bewundern. Ein grosses Glück wiederfährt mir aber auch, als mir ein Schäfer dem ich etwas geholfen hatte den Einstieg zu einem wenig bekannten Bergpfad der üblicherweise nur von der Naturschutzaufsicht begangen wird zeigt. Es ist ein schweisstreibender Pfad der sich auf über 1800 Meter bergwärts schlängelt und mich mitten in dieses wunderschöne Gebiet bringt. Das Überfahren der grossen Steine werfen mich oftmals fast aus dem Gleichgewicht und einige Male muss ich Rad und Anhänger über grössere Hindernisse heben. Während zweier Tage sehe ich keinen einzigen Menschen dafür so viele verschiedene, wildlebende Tiere wie noch nie zuvor.Ich beobachte mehrmals grössere Gruppen zweier verschidener Hirscharten, Männchen, Weibchen und Jungtiere (weiss die Fachausdrücke dafür nicht) , Rehe, Gemsen, Steinböcke, Adler, Geier, Falken, diverse andere Vogelarten, Eidechsen und Schlangen. Mit etwas Bedauern und Wehmuth bin ich am dritten Tag wieder im Tal gelandet, habe mich auf einem Campingplatz eingerichtet, wieder einmal ausgiebig geduscht und die Kleider gewaschen. Das Ziel für den nächsten Tag habe ich danach bei einem Bier mit dem "Parque national de la Muela" festgelegt und schon bald darauf ist es auch schon Zeit, mich aufs Ohr zu legen. Der Tag beginnt wie jeder andere doch während ich so fahre und meinen Gedanken nachgehe fühle ich plötzlich den grossen Drang, dieses Land zu verlassen. Es gab während meiner Reise vieles was mir missfallen hat, da ist der permanent mit dem unmöglichsten Müll gefüllte Strassengraben an welchem ich mich immer grün und blau geärgert habe nur eines davon. Aber ich will hier auf eine Aufzählung aller Ärgernisse während meinem Spanienaufenthalt bewusst verzichten, denn ich habe auch viel Schönes sehen und gute Erfahrungen sammeln dürfen. Zudem ist es ganz wichtig sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass diese sichtbaren Zeichen negativem Verhalten immer nur durch eine uneinsichtige und unverbesserliche Minderheit verursacht werden. Trotzdem, ich habe genug und zwar soffort. So halte ich an der nächsten Strassenkreuzung an, konsultiere die Karte, werfe alle Routenpläne über den Haufen und nehme den direkten Weg nach Madrid. Über die Stadt selbst kann ich nicht viel anderes sagen als was ich über die anderen grossen Orte bereits geschrieben habe. Nur dass die spanische Hauptstadt noch um eine Nummer grösser ist und die Fahrt der letzten 15 Km bis zum Stadtzentrum sich für mich als Radfahrer als reinstes lebensgefährliches Spiessrutenlaufen entpuppte. Hier endet meine kleine "Südeuropatour" nach genau 6336 gefahrenen Kilometern, zwei Hinterreifen, einem Vorderreifen, einer Kette und einem Zahnkranz.

Nachtrag:

Die Nasenlöcher schwarz von den Autoabgasen und die Haut klebrig vom Schweiss halte ich bei der ersten mich anlachenden Gartenwirtschaft im Stadtzentrum an und genehmige mir quasi als Belohnung ein schönes Bier. Am Tisch neben mir spricht man deutsch. Ein älteres Ehepaar unterhält sich ganz angeregt bei einem Glas Rotwein. Auf ihrem Tisch liegt eine deutsche Zeitschrift und die Überschrift zieht meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Es ist der "Slogan" für ein Land und meine Entscheidung fällt augenblicklich. Das muss und will ich kennenlernen. Gleich neben dem Restaurant entdecke ich auch ein Reisebüro. Die Angestellte schaut mich etwas ungläubig an, kein Wunder in meiner Aufmachung, stellt mir aber gleichwohl das gewünschte Flugticket zu meiner neuen Destination aus. So ist die Entscheidung über meine Weiterreise gefallen noch bevor ich eigentlich richtig in Madrid angekommen bin. Abflug Montag, 16. August kurz nach Mittag. Alles hat sich so gefügt, nein noch wundervoller, als ich vermutet habe. "Sandra, du bisch es richtigs Spatzimausi"

Wohin die Reise geht? Im nächsten Bericht werde ich Euch von dort erzählen!

Ich grüsse und umarme Euch alle herzlich

Curi

 
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