Portugal
Monçao lese ich auf dem Wegweiser und bin
beruhigt. Ich befinde mich noch auf dem richtigen
Weg zur Grenze Portugals. Santiago habe ich vor zwei
Tagen wie gewohnt bei Tagesanbruch verlassen und die
Nacht kurz nach der Stadt Vigo auf einem Campingplatz
am Meer verbracht. Das Wiedersehen mit der blauen
Weite hat alte Erinnerungen hochgespühlt und
mein Seelenleben ganz schön durcheinander gewirbelt.
Nun, auch das ist vorübergegangen und seit dem
frühen Morgen bin ich wieder landeinwärts
unterwegs. Längere Zeit muss ich aus Mangel an
Alternativen der Hauptstrasse folgen und die oftmals
haarscharf an mir vorbeidonnernden Lastwagenfolge,
deren Luftdruck mich manchmal ganz schön ins
wanken bringen, lassen es mir einige Male kalt den
Rücken hinunterlaufen. Die Gegend hier ist recht
hügelig und während der Fahrt vertreibe
ich mir die Zeit, mir links und rechts der Strasse
die Gärten der Anwohner anzusehen und versuche
zu erraten, was hier wohl alles gepflanzt wurde. Nach
dem wiederholten Anstieg auf die nächste Anhöhe
erblicke ich auf meiner linken Seite, wie sich ein
Fusspfad zwischen einigen Büschen und Bäumen
dahinschlängelt um in einem dichten Eukalyptuswald
zu verschwinden. Endlich Gelegenheit diese asphaltierte
Strasse wieder zu verlassen. So suche ich die Abzweigung
zu diesem Weg und nach zwei Fehlversuchen, wobei mich
der eine beinahe den Biss eines wütenden Hofhundes
in die Wade gekostet hätte, finde ich beim dritten
Anlauf den richtigen Einstieg. Ein Glücksgriff.
Über eine Stunden lang folge ich diesem leicht
ansteigenden, schmalen Pfad. Die Unterlage aus festgetretener
Erde leisten den Reifen kaum Wiederstand und schlucken
auch jegliches Rollgeräusch. Die meisten der
Eukalyptusbäume müssen, gemessen an ihrem
grossen Stammumfang schon recht alt sein. Grosse,
hautähnliche Stücke ihrer Rinde hängen
an den Stämmen hinunter wie menschliche Haut
nach einem Sonnenbrand und der Duft ihres ätherischen
Öles ist so intensiv, dass es mir fast "sturm"
wird. Ich wundere mich, warum dieser Weg nicht wie
in diesen Wäldern üblich voller Laub ist.
Irgend jemand muss viel Mühe aufwenden um ihn
sauber zu halten, aber wer und warum. Eine der Fragen,
die für mich wohl immer unbeantwortet bleiben
wird. Die Sonne dringt nur spärlich durchs Blätterdach
und das Licht der vereinzelt auf den Boden, dem wenigen
Unterholz und der herabhängenden Rindenfetzen
treffenden Strahlen gaukeln mir allerlei Fantasiegestalten
vor. Sandras Gesicht taucht vor mir auf. Sie liegt
im Spitalbett, lächelt mich auf ihre bezaubernde
Weise an und erzählt mir, sie hätte die
ganze Nacht draussen unter den Bäumen Gnome,
Wurzel- und Erdmännchen gesehen. Sie seien ganz
lustig gewesen, hätten ihr zugewinkt und sie
habe eigentümlicherweise überhaupt keine
Angst gehabt. Leider habe sie nicht verstanden, was
sie ihr denn hätten sagen wollen. Das Rad rollt
geräuschlos über den Weg. Ich hohle tief
Atem um den Druck auf der Brust etwas zu verringern.
Wenn es doch nur einfach abheben und mit mir davonfliegen
fliegen würde, mitten in den Himmel hinein, so
wie es Ludwig Hirsch in seinem Lied "Komm, grosser
schwarzer Vogel, komm" besingt. Mitten in den
Himmel hinein. Warum kann oder darf ich das denn nicht?
Was suche ich denn hier eigentlich noch? Werde ich
je eine Antwort auf diese Frage bekommen? Ich sehe
mich um. Die Fantasiegestalten sind verschwunden.
Es ist heller geworden, der Wald lichtet sich und
der Erdweg geht in eine Kiesstrasse über die
sich nach wenigen hundert Meter teilt. Wärend
die eine links am Hang weiter bergwärts steigt,
senkt sich die andere auf der rechten Seite talwärts
und wie immer in solchen Situationen, weit und breit
nichts von einem Strassenschild. Ich überlege
kurz: " also wenn ich jetzt talwärts fahre
und unten merke dass ich falsch bin darf ich zusätzlich
zum ärgern noch den ganzen Weg wieder bergauf
strampeln. Da fahre ich doch lieber den Berg hoch,
so kann ich es bei falscher Wahl zum Trost wenigstens
talwärts rollen lassen". Oben angekommen
führt der Weg dem Hügelrücken entlang
und teilt sich noch einmal. Diesmal führen beide
Wege talwärts, der eine aber links und der andere
rechts vom Berg. Und was wende ich nun für eine
Logik an, frage ich mich, während ich anhalte
und einen schluck aus der Flasche trinke. Die Sonne
steht schon recht hoch am HimmeIn und auf Stirne und
Armen bilden sich feine Schweissperlen. In weiter
Ferne höre ich einen altbekannten Ruf und ich
kann nicht vermeiden, dass Hühnerhaut meinen
Körper überzieht. Rechts von mir, fast auf
gleicher Höhe kreisen zwei Milane über dem
Tal und lassen von Zeit zu Zeit ihren Ruf weit über
die Ebene erschallen, dieser Ruf, in welchem ich glaube,
immer eine Spur Melancholie mitschwingen zu hören.
Meine Frage ist beantwortet, denke ich für mich,
stecke die Trinkflasche in ihre Halterung, wende den
Lenker nach rechts und setze mein Fahrrad Richtung
Tal in Bewegung. Unten angekommen gehts einem ausgetrockneten
Bachbett entlang weiter bis der Weg auf eine befestigte
Strasse mündet. Wiederum entscheide ich mich
für Rechts und folge der Strasse einige Kilometer
bis zu der Kreuzung, wo ich dann endlich zu meiner
Beruhigung den Wegweiser mit der Ortsanschrift Monçao
lese.
Kurze Zeit später überquere ich die Grenze
zu Portugal und nie ist mir der Übergang in ein
anderes Land gefühlsmässig so aufgefallen
wie gerade hier. Keine Ahnung woran das liegen konnte,
denn nichts war auffallend anders als in Spanien.
Es war ganz einfach nur ein Gefühl und mir schien
als habe die ganze Umgebung eine positivere Schwingung
erhalten von der ich selbst auch angesteckt wurde.
Die Luft schien mir besser, der Duft angenehmer und
das ganze Umfeld strahlte Ruhe und Gelassenheit aus.
Der Motorenlärm des jetzt in grenznähe zugenommenen
Fahrzeugverkehrs empfand ich als weniger laut und
stöhrend und irgendwie hatte ich das empfinden,
das Singen der Vögel sei hier sogar etwas fröhlicher.
Bei der ersten Bar die ich antreffe halte ich an.
Eine Frau mittleren Alters begrüsst mich mit
einem freundlichen Lächeln und gibt sich alle
Mühe zu verstehen, was ich gerne möchte.
Das "Café con Leche" heisst hier
"Colao" und das "Bocadillos" wieder
"Sandwich" und wenn man eines mit Käse
und Schinken belegt haben möchte heisst es ganz
einfach "mixto". Sie deutet mir an, draussen
Platz zu nehmen und so setze ich mich an einen der
vier Tische in dem von einem grossen Laubbaum beschatteten
Garten. Ein sanfter Wind lässt die Blätter
über mir rauschen und vermittelt etwas Kühle.
Aus dem Lautsprecher über der Eingangstüre
tönt altbekannte Musik der 60er und 70er Jahre.
Ich lehne mich zurück, schliesse die Augen und
fühle mich für einmal rundum gut. Dies scheint
auch ein kleiner Hund zu spüren der sich mir
ganz zaghaft nähert. Soffort kommt mir "Bardi",
der alte Bekannte aus den Bardenas in den Sinn und
so wie er damals, trägt auch dieser Kleine da
kein Halsband. Im Gegensatz zu Bardi hat er ein zwar
auch kurzhaariges,aber schwarzes Fell mit einer weissen
Schnauzenspitze, Hängeöhrchen und ein dünnes
Ringelschwänzchen. Zudem ist er bedeutend zutraulicher
und legt sich gleich neben meinem Stuhl auf den mit
Natursteinplatten belegte Boden. Scheint wohl auch
niemandem zu gehören, denke ich und kraule ihn
hinter dem Ohr. Ich bemerke eine Unebenheit in seinem
Fell und beim Nachsehen bestätigt sich meine
Vermutung. Eine Zecke hat sich in seiner Haut festgebissen
und bereits vollgesaug. Eine genauere Untersuchung
fördert noch eine Unmenge dieser Blutsauger zu
Tage die sich überall eingenistet haben, hinter
und in den Ohren, zwischen den Zehen, in den Achselhöhlen,
am Bauch und überall wo sich eine Blutbahn unter
der Hundehaut befand. Der Arme war regelrecht übersäht
von diesen Fichern. Schon begann ich, ihn davon zu
befreien und hörte erst damit auf als ich sicher
sein konnte, auch der letzte dieser Parasiten erwischt
zu haben. In dieser Arbeit vertieft hatte ich gar
nicht bemerkt, dass die Frau in der Zwischenzeit Getränk
und Sandwich auf meinen Tisch gestellt hatte und nun
neben meinem Stuhl stand, Watte und ein Fläschen
mit einem desinfizierendem Mittel in den Händen.
Als sie sah, dass ich mit "Zeckenpflücken"
fertig war, bückte sie sich und gemeinsam behandelten
wir die Bisswunden von denen einige doch recht stark
bluteten.
Beim Aufbruch liess sich die gute Frau trotz allem
Bemühen meinerseits nicht dazu bringen, Geld
für Essen und Getränk von mir anzunehmen
und blieb hartnäckig, bis ich auf dem Rad sass
und losfuhr. Beim wegfahren winkte sie mir nach und
ich hörte gerade noch wie sie etwas hinterherrief,
das ich leider nicht verstanden habe. Wie wenig braucht
es doch etwas Mitgefühl zu zeigen ob nun gegenüber
Mensch oder Tier und wie Herzgewinnend kann dies doch
sein. Warum verstecken wir Menschen uns nur hinter
der Fassade der Gleichgültigkeit, schauen weg
oder wechseln die Strassenseite wenn wir einem Armen
oder Bedürftigen begegnen als hätten wir
Angst, man könnte uns irgend etwas wegnehm. Machen
uns die paar Münzen, das freundliche und verständnissvolle
Lächeln oder einige Minuten unserer Zeit wirklich
ärmer. Vielleicht sind wir uns nur nicht bewusst,
dass diese kleine Investition ein grosser Gewinn in
unserem Seelenleben und gleichzeitig ein kleiner aber
wichtiger Beitrag an eine Welt mit mehr Herz bedeuten
kann. Portugal hat mich freundlich empfangen und diese
positive Stimmung ist geblieben während der ganzen
Dauer meines Aufenthaltes. Der weitere Weg führt
mich am Rande des "Parque Nacional da Peneda
Gerês" vorbei, wobei ich zuerst den Rio
Lima und danach den Rio Cávado überquere.
Am Nachmittag des nächsten Tages nähere
ich mich der Stadt Braga. Noch lange bevor ich die
Stadt erreiche überfällt mich urplötzlich
ein komisches Gefühl. Irgend etwas stimmt hier
nicht aber was? Mit einem Male fällt mir auf,
dass gar keine Menschen, weder zu Fuss noch im Auto
auf den Strassen anzutreffen sind. Alles wirkt wie
ausgestorben und verlassen obwohl normalerweise der
Verkehr je näher man einer Stadt kommt desto
mehr zunimmt. Hier ist gerade das Gegenteil der Fall
und das kommt mir doch sehr "spanisch" d.h.
eigentlich "portugisisch" vor.
Seit über einem Monat hatte ich weder Radio
gehört, nie Fern gesehen und keine Zeitung gelesen.
Kurz, ich habe keine Ahnung, was seit meiner Abreise
auf der Welt so alles passiert war und langsam wird
es mir fast etwas unheimlich. Habe ich ev. irgend
etwas verpasst, ist etwas passiert von dem ich keine
Ahnung habe, ein terroristischer Anschlag, ein erneuter
Krieg oder sonst ein grosses Unglück. Ich weiss
nicht warum, aber an die Fussball-EM hatte ich die
ganze Zeit nie gedach und bin in diesem Moment einfach
nicht darauf gekommen, dass das etwas mit ihr zutun
haben könnte. Beim Durchfahren der Vororte von
Braga fällt es mir dann wie Schuppen von den
Augen. Ach Gott die EM, genau, sage ich im Selbstgespräch
zu mir selbst und bin tatsächlich etwas erleichtert.
Aus den meisten Fenster der Wohnhäuser wehen
die Fahnen Portugals, die Dekoration in den Schaufenster
der Geschäfte haben dieses Fussballereigniss
zum Motto und sogar einem Hund der vor mir die Strasse
überquerte hatt man ein Tuch mit den Farben Portugals
um den Hals gebunden. Im Zentrum selbst treffe ich
dann auf all die vorher in den Strassen Vermissten
auf der "Plaza de la Republica" und wer
dort keinen Platz gefunden hat, drängt sich in
die Gassen der Fussgängerzone. Fast kein Schaufenstern
oder Restaurant ohne Fernseher und auf dem Hauptplatz
selbst steht eine riesige Grossleinwand. Portugal,
Portugal, tönte es aus tausenden von Kehlen während
gleichzeitig Fahnen und Halstücher voller Entusiasmus
geschwenkt werden. Das Eröffnungsspiel zwischen
Portugal und Griechenland steht kurz vor seinem Anpfiff
und die ganze Stadt, nein, wohl das ganze Land ist
aus dem "Häuschen". Die zweite Überraschung
des Tages erreicht mich nach Ende des Spiels, als
ich mit meiner Mutter telefoniere. Meine Brüder
wollen mit Freunden nach Lissabon fliegen und sich
das zweite und dritte Spiel der Schweiz ansehen. Sie
haben vorsorglicherweise auch für mich Eintrittskarten
gekauft, für den Fall, dass ich mir die Spiele
auch ansehen möchte und es bis zum Austragungstag
nach Coimbra schaffe.
Natürlich will ich mir diese Gelegenheit nicht
entgehen lassen und verspreche, alles notwendige zu
tun um zum richtigen Zeitpunkt im Sadion einzutreffen.
Nach dem ersten Spiel unserer Nationalelf, welches
ich mir auf der erwähnten Grossleinwand in Braga
ansehen konnte, setzte ich meine Reise fort. In der
Stadt Amarante entzünde ich in der Kirche des
heiligen Concelvo mehrere Kerzen, so wie ich es einem
lieben Menschen versprochen hatte, sollte mich meine
Reise durch diese Ortschaft führen. Bevor ich
in Coimbra eintreffe durchquere ich noch die "Reserva
Botanica de Cambarinho". Coimbra selbst gefällt
mir ganz und gar nicht und so verlasse ich diese Universitätsstadt
auf der anderen Seite gleich wieder um dem Lauf des
Rio Mondego zu folgen bis ich in Penacova auf einen
direkt am Flussufer gelegenen Campingplatz stosse.
Nachdem ich mein Zelt aufgestellt habe entdecke ich
zu meiner Freude, dass ich drei aufgestellte "Bärner-Giele"
zu meinen Nachbarn zählen darf. Wie viele andere
sind auch sie eigens für die EM nach Portugal
gereist und entpuppen sich als wahre Fussballkenner.
Ob Spielernahmen, Mannschaften, Resultate oder was
auch immer man über Fussball wissen sollte, ihnen
war es bekannt. Freundlicherweise durfte ich mit ihnen
im VW-Bus nach Coimbra zum Spiel mitfahren und kehrte
mit ihnen auch wieder auf den Camping zurück.
Ich verbrachte mit den Dreien einige wirklich schöne
Stunden und hoffe, sie sind wohlbehalten wieder nach
Hause zurückgekehrt. Der Besuch in Coimbra stand
dann selbstverständlich ganz im Zeichen des Wiedersehens
mit meinen Brüdern über das ich mich wirklich
von Herzen gefreut habe, das Wiedersehen der Freunde
und natürlich dem Spiel, das wir bekanntlich
leider verloren haben. Bis zum nächsten Einsatz
der Schweizer sollte es noch eine Woche dauern und
so benütze ich die Gelegenheit einen Abstecher
in die "Serra da Estrela" mit dem 1993 Meter
hohen "Torre" zu machen. Der Aufstieg zu
diesem höchsten Berg Portugals kostet mich eine
Menge Schweiss gilt es doch vom Ufer des auf ca. 250
M liegenden Rio Mondego insgesammt 1740 Höhenmeter
zu überwinden. Umso grösser ist die Genugtuung
es geschafft zu haben, auch mit Anhänger und
dem ganzen Gepäck. Die auf dem Torre angetroffenen
Skilifte verraten mir, dass hier im Winter anscheinend
sogar Ski gefahren werden kann. Der "Parque Natural
da Estrela" habe ich als landschaftlich sehr
schöne Gegend kennengelernt das jeden investierten
Schweisstropfen wert war.
Ich bin auf dem Rückweg Richtung Coimbra, die
Sonne steht schon tief am Horizont und meine Lebensmittelvorräte
seit der Mittagsrast aufgebraucht. Schon seit längerem
halte ich vergeblich nach einer Möglichkeit Ausschau,
etwas zum Essen und zu Trinken einzukaufen . Ein Blick
auf die Karte zeigt mir, dass ich nur noch eine einzige
und erst noch ganz kleine Ortschaft durchquere, bevor
dann der Weg durch mindestens eine 40 Km lange unbewohnte
Gegend führt. Das würde heissen durstig
und mit leerem Magen irgendwo in der "Wildniss"
übernachten zu müssen, denn in der stockfinsteren
Nacht ohne Licht weiterzufahren ist nicht ratsam.
Endlich erreiche ich den Ort und bei der ersten Person
die ich antreffe erkundige ich mich nach einer Einkaufs-
oder ev. gar Schlafmöglichkeit. Eine ganz in
Schwarz gekleidete, ältere Frau, das Haupt mit
einem ebenfalls schwarzen Kopftuch bedeckt, den Rücken
vermutlich von jahrelanger, harten Feldarbeit gebeugt,
stützt sich auf einen hölzernen Spazierstock.
Bereitwillig beschreibt sie mir den Weg zum einzigen
Lebensmittelgeschäft des Ortes und erklärt
mir, dass oberhalb des Dorfrestaurant, welches wiederum
nur nach Durchfahren von einigen verwinkelten Gässchen
und Gassen zu finden ist, eine Frau private Unterkunft
anbiete. Nach zweimaligem Verfahren und gleichvielem
Nachfragen finde ich die gesuchte Person tatsächlich.
Ich habe meine Bitte kaum vorgetragen schlägt
sie auch schon die Hände über dem Kopf zusammen.
"Das ganze Jahr kommt praktisch niemand"
erklärt sie mir in gutem französisch "und
jetzt so viele auf einmal". Ich erfahre, dass
bereits am Nachmittag ganz unangemeldet eine Gruppe
Schweizer all ihre vorhandenen Zimmer belegt hätten.
Kein einziges Bett sei noch frei. Noch stehe ich etwas
ratlos da und weiss nicht recht was ich sagen soll,
da nimmt sie mich schon bei der Hand und zieht mich
in ihre Wohnung wo sie mich im Korridor stehen lässt
und in der Küche, ich sehe es durch die offene
Türe, einige Worte mit ihrem Mann wechselt. Kurz
darauf werden im Wohnzimmer einige Möbel verrückt
um Platz für ein Notbett zu schaffen. Die Douche
befindet sich da hinten, sie hole nur noch schnell
ein frisches Badetuch und wo die Küche ist, falls
ich etwas kochen möchte hätte ich ja bereits
gesehen. Geschirr und Pfannen könne ich die ihren
benutzen, ansonsten sei im Erdgeschoss ein Restaurant
und der Wirt ein guter Koch. Ich entscheide mich für
das letztere und frisch geduscht betrete ich kurze
Zeit später das Speiselokal. Die erwähnten
Schweizer, die ich gerade beim Nachtessen antreffe
entpuppen sich als sieben Basler Fussballfans die
sich ebenfalls wegen der EM hier befinden. Auch sie
sind durch viele verschiedene Umständen unvorhergesehen
hier gelandet, erklären sie mir und laden mich
kurzerhand ein, bei ihnen Platz zu nehmen und mitzuessen.
Es wird ein ganz kurzweiliger und geselliger Abend
im Kreise dieser Basler Jungs. Es ist schon spät,
als wir uns verabschieden um unsere Zimmer aufzusuchen.
Ganz leise öffne ich die Türe zur Wohnung
und begebe mich auf Zehenspitzen zu mein Zimmer. Ich
bin müde und froh, diese Nacht so ganz ungeplant
in einem Bett verbringen zu können. Noch habe
ich das Zimmer nicht erreicht, öffnet sich die
Türe zur Küche und "schwupps"
sitze ich, noch ehe ich richtig kappiere was passiert
am Küchentisch umringt von mehreren Menschen.
Bei Kaffe, Portwein und Kuchen erfahre ich nun die
Lebensgeschichte dieser Menschen, ihrem über
30jährigen Lebensabschnitt als Gastarbeiter in
Neuenburg, der Geburt ihrer Kinde in der Schweiz,
die vielen Freunde die sie bei ihrer Rückkehr
nach Portugal in ihrer zweiten Heimat, wie sie es
nannten, zurücklassen mussten, die durchlittene
Krise die sie aber noch schlimmer die ihre Kinder
nach der Rückkehr in ihre ursprüngliche
Heimat durchgemacht haben und der vielen guten Erinnerungen
die sie noch heute mit der Schweiz verbinden.
Man merkte es ihnen an, es tat gut die alten Erlebnisse
und Geschichten wieder einmal aufzufrischen zu können
und ich habe einiges über die Lebenserfahrungen
einer Gastarbeiterfamilie erfahren können. Es
wurde eine kurze Nacht, doch an Stelle der Stunden
in der Küche mit diesen herzlichen Menschen diese
mit Schlaf verbracht zu haben währe ein schlechter
Tausch gewesen, für beide Seiten.
Einen Tag vor dem dritten EM-Spiel der Schweiz treffe
ich wieder auf dem Campingplatz am Rio Mondego ein.
Hier stosse ich auch wieder auf die Berner-Jungs und
Tags darauf gehts wieder mit dem VW-Bus nach Coimbra,
zu meinen Brüdern, ihren Freunden und natürlich
zum Spiel, das wir wie bekannt leider auch wieder
verloren haben. Damit war das ungeplante Intermezzo
vorbei. Ich habe mich sehr gefreut meine Brüder
zu treffen und bin ihnen dankbar, dass sie mir ermöglicht
haben, die EM-Spiele der Schweizer Nationalmannschaft
in dieser wirklich einmaligen Atmosphäre miterleben
zu können. Natürlich war das Thema EM damit
nicht beendet sondern begleitete mich fast während
meines ganzen Aufenthaltes in Portugal. Immer und
überall war die EM present. Das ganze Land wimmelte
von Ausländern aus den an diesem sportlichen
Grossereigniss teilnehmenden Nationen und fast jeder
Portugiese ob Urgrossmutter, Grossvater oder Säugling
trug irgend etwas in den Nationalfarben Portugals
auf sich. Ob an Autos, Motorräder, Busse, Traktoren
auf dem Felde und anderen Fahrzeugen wehten porugisische
Fahnen und Wimpel. Die Fernsehsender übertrugen
von morgends bis abends fussballorientierte Themen
und bei den Portugalspielen war das ganze Land, vom
Jüngsten bis zur Ältestesten im Banne des
Lederballs . Für die meisten dieser Menschen
ging es aber um weit mehr als um Fussball und ich
behaupte, dass die meisten dieser Begeisterten sich
normalerweise nie ein Fussballspiel ansehen. Nein
es ging hier um viel mehr und das merkte ich auch
daran, dass sich das allgemeine Interesse auf die
Spiele der portugisischen Mannschaft beschränkten.
Alle anderen Spiele nahmen die Einheimischen kaum
zur Kenntniss und die Fernseher in den Restaurants
wurden bei den restlichen Übertragungen ausschliesslich
von ausländischen Sportbegeisterte belagert.
Am nächsten Tag verlasse ich den Camping Penacova,setze
meine Fahrt über die "Serra da Lousã"
fort und erreiche einen Tag später den bekannten
Wahlfartsort "Fatima". Vergleichbar ist
diese Pilgerstätte in etwa mit Lourdes nur dass
mir der Ort am Fusse der französischen Pyrenäen
in jeder Hinsicht nicht nur besser, sondern sogar
viel besser gefallen hat. Mein Herz wollte sich hier
nicht so recht erwärmen und eine innere Stimme
drängte zur Weiterfahrt. Bis hier her führte
mich mein Weg über mehrheitlich hügeliges
Gelände, hauptsächlich von Klein- und Kleinstbauern
bewohnter Arbeits- und Lebensraum. Auf den kleinen
Äckern und Feldern gedeihte allerlei Gemüse,
Kartoffeln, verschiedene Weizenarten und auch einige
Reben. Viehzucht fehlte praktisch ganz oder wurde
nur in so kleinem Ramen betrieben, dass es mir nicht
auffiel. Alles in allem eine gesunde Mischwirtschaft
die mir gut gefiel und die Fahrt durch diese Gegend
abwechslungsreich gestaltete. Die Wälder hingegen
bestanden, mit Ausnahme in den Naturschutzgebieten,
fast ausschliesslich aus intensiv bewirtschafteten
Eukalyptuswäldern. Das Singen der Vögel
wurde meistens vom knattern der Kettensägen übertönt
und auf den Waldwegen standen oder fuhren mit Eukalyptusstämmen
vollbeladene Sattelschlepper. Einer der Waldarbeiter
gibt mir auf meine Frage hin die Auskunft, dass dieses
Holz ausschliesslich für die Papierherstellung
verwendet wird und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor
für Portugal darstellt. Mir jedoch wurde es beim
Durchfahren dieser eintönige Monokultur zunehmends
langweiliger und war gar nicht glücklich wenn
ich feststellte, dass der Weg wieder auf den nächsten
Wald zusteuerte, feiner Eukalyptusduft hin oder her.
Ab Fatima ändert sich das Bild vollständig.
Während sich mir die am Morgen durchfahrene Landschaft
aus einer Mischung aus Jura und Ardéche presentiert,
erinnert mich die Gegend am Nachmittag eher der Toscana.
Noch vor Ende des Tages flacht sich das hügelige
Gelände zunehmends ab und in der Nähe von
Santarém, auf einem der letzten Erhebungen
weitet sich vor mir eine immense Ebene aus die sich
bis zum Horizont hinzieht. Die Farbe grün, die
mich bis hierher in all ihren verschiedenen Variationen
begleitet hatte weicht nun dem goldgelb der ausgedehnten
Weizenfeldern und Weideflächen. Anstelle der
Eukalyptusbäume finden sich nun Olivenbäume
und Korkeichen verstreut auf den ausgetrockneten Weideflächen
und die sich schlangenähnlich durch die Landschaft
hinziehenden, in intensivem Rosa blühenden Reihen
von Oleanderbüschen verraten mir schon von weitem,
wo ein zu dieser Jahreszeit meist ausgetrocknetes
Bach- oder Flussbett zu finden ist. Staub liegt in
der Luft und vermittelt das Gefühl, die Luft
sei irgendwie dicker geworden und auch die Temperatur
ist merklich angestiegen. Weidende Vieherden bevölkern
die Grasflächen und in der Luft begrüssen
mich die Störche wieder, welche ich seit dem
überfahren des zur Gebirgskette der Kordilleren
gehörende Cebreiro-Pass im Nordwesten Spaniens
nie mehr gesehen hatte. Die kilometerlangen Zäune
und die Gutshöfe die nebst dem meist sehr feudalen,
manchmal fast schlossähnlichen Herrschaftshaus
auch über einen grossen und moderner Maschinenpark
verfügen zeigen mir deutlich, hier sind die Grossgrundbesitzer
zuhause.
In Setúbal stosse ich das zweite Mal aufs
Meer, stelle hier mein Zelt auf und besuche mit dem
Bus die Weltstadt Lissabon. Die gut erhaltene und
gepflegte Altstadt, die meistens noch mit altem Kopfsteinplaster
belegten Strassen und Gassen, die schönen und
ebenfalls gut unterhaltenen hystorischen Gebäuden
und Plätze, die alten Trams, welche in engsten
Gassen unglaubliche Steigungen bezwingen und deren
Chauffeure gelassen mal hier und da winken, geduldig
warten wenn sie wegen einem schlecht parkierten Wagen
die Fahrt nicht forstetzen können und mal anhalten
auch wenn gerade keine Haltestelle ist, um einen älteren
Passagier ein- oder aussteigen zu lassen, die modernen
Einkaufszentren, Sportanlagen, Parks und Wohnviertel
haben in mir den Eindruck hinterlassen, mit Lisboa
eine der schöneren Städte dieser Grösse
gesehen zu haben.
Das gleiche gilt auch für das dort besuchte
Ozeanarium, das mit 7 Mio Liter Wasser welches von
27 cm dicken, speziell zu diesem Zweck hergestellten
Acrylglasscheiben
zurückgehalten werden und Lebensraum für
15000 Tiere aus 450 Arten bietet. Vom Hai über
den Rochen bis hin zum Clownfisch und Muräne
ist fast alles zu sehen was in unseren verschiedenen
Weltmeeren, ob es nun der offene Ozean, die Riff's
der Südsee, die Klippen der Nordsee oder den
Mangroven, lebt. Ein weiterer Besuch galt dem Zoo
von Lissabon, der gemäss seinen eigenen Angaben
zu den grössten der Welt zählen soll. Leider
gilt hier wie all zu oft das Motto, möglichst
viele verschiedene Exemplare in grosser Anzahl halten,
das ist atraktiv und bringt Besucherzahlen, auch wenn
der Platz für all die Tiere eigentlich längst
nicht mehr ausreicht und weit unter jeder Norm liegt.
Dazu kommte der Umstand, dass damit der Besucher sie
besser beobachten kann, oft auf jegliche Versteck-
oder Rückzugsmöglichkeit verzichtet wird
was der Wesensart jedes wildlebenden Tieres entgegenspricht.
So verlasse ich diesen sogenannten Naturpark enttäuscht
und auch etwas gefrustet und verbringe den Rest des
Tages, mit den alten Trams die Stadt kreuz und quer
zu durchfahren, auszusteigen wenn ich etwas interessantes
entdecke um mit dem Nächsten meine Besichtigungstour
fortzusetzen.
Lisboa verlasse ich in östlicher Richtung bis
zur 50 Km vor der spanischen Grenze liegenden Stadt
Évora und entdecke hier für mich die schönste
Stadt Portugals. Die ursprüngliche Bausupstanz
der ganzen Ortschaft ist so gut erhalten, dass man
daraus nur die Autos und Strassenschilder entfernen
müsste um einen Film übers Mittelalter drehen
zu können. Stundenlang bin ich durch die mit
Klopfsteinpflaster belegten, ansteigenden oder abfallenden,
mit reichlich Pflanzen und Blumen verschönerten
Gassen und Gässchen spaziert und konnte mich
an den vielen liebevoll erhaltenen oder restaurierten
Sehenswürdigkeiten gar nicht satt sehen.
Die schneeweiss getünchten Hausfassaden mit
den in verschiedenen pastelltönen gestrichenen
Sockel, Fenster- und Türeinrahmungen sowie die
zwiebelförmigen Kaminhüte und Bedachungen
der kleinen auf den Dächern angebrachten Türmchen
lassen den orientalischen Einfluss ganz klar erkennen.
Von Évora aus gehts dann in einer Zickzacklinie
südwärts weiter am Stausee Odivelas und
der Ortschaft Serpa vorbei. Während mich der
Weg in engen Kehren talwärts zum Flussbett des
Rio Guadiana führt, begrüsst mich am gegenüberliegenden
Hang das in der vollen Nachmittagssonne stehende Städtchen
Mertola. Strahlendweisse Haussfassaden leuchten mir
entgegen und dominant steht der Schlossturm am höchsten
Punkt des Ortes und wacht über die Bewohner dieser
fast märchenhaft anmutenden Ortschaft. Da weit
und breit kein Campingplatz ist, (Auskunft des Tourismusbüro
am Ortseingang) entschliesse ich mich, mein Zelt ausserhalb
der Ortschaft am Flussufer aufzustellen. Einen geeigneten
Platz hatte ich schon bei der Überquerung der
Brücke ausgemacht und kurz darauf habe ich mein
provisorisches Zuhause auf einem schönen Plätzchen
nahe des Wassers aufgestellt. Nun noch schnell ins
nächste Lebensmittelgeschäft um Trink- und
Esswaren einzukaufen dann wird noch genügend
Zeit zu einer ersten Ortsbesichtigung bleiben. Mit
vollen Taschen radle ich zurück zu meinem Übernachtungsplatz
und bemerke gleich beim ersten Blick zum Fluss hinunter,
dass sich das Landschaftsbild verändert hat.
Die Wasserfläche hat sich bedeutend vergrössert
während sich der Landanteil um die gleiche Fläche
verkleiner hat. Ich ahne böses und fahre nun
so schnell ich kann zu meinem Zelt. Tatsächlich,
obwohl es von hier zum Meer noch gut 70 Km sind, beeinflussen
Flut und Ebbe auch den Wasserspiegel des Flusses und
lassen ihn hier, das habe ich später festgestellt,
um ca. 150cm ansteigen. Mein Schlafzimmer ist also
bei meinem Eintreffen praktisch von Wassermassen umgeben
und nur dank der wasserdichte Wanne des Innenzeltes
ist mein Gepäck und der Schlafsack trocken geblieben.
So schnell ich kann demontiere ich mein Zelt und trage
alles an eine trockene Stelle am Ufer. Für heute
habe ich aber genug vom Campieren und so packe ich
meine Habseligkeiten wieder fein säuberlich zusammen
und belade damit meinen Anhänger. Noch während
ich das Gepäck mit den Gurten befestige erhasche
ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung und glaube
tatsächlich den aus der Fernsehsendung bekannte
"Pumuckerl" neben mir zu haben. Nur hat
dieser hier einen strohblonden an Stelle des roten
Haarschopfes, aber genau so wirr und zersaust.
Mehr kann ich nicht erkennen denn da ist er auch
schon an mir vorbei und seinen Sprung ins Wasser begleitet
er mit einem lauten Lachen. Noch während das
kühle Nass aufspritzt huscht von der anderen
Seite eine etwas kleinere Ausgabe der Ersten ebenfalls
an mir vorbei und verschwindet kopfüber in den
Fluten. Unbeschwert und fröhlich, wie das eben
nur Kinder können vergnügen sich die beiden
blonden Strubelköpfe im Wasser wobei sie von
Zeit zu Zeit die Köpfe kichernd zusammenstecken,
während sie zu mir herüberschauen. Ein erneutes
Rascheln genau hinter mir lässt mich erschreckt
zusammenfahren. Hinter mir steht die Erwachsenenausgabe
der beiden Badenden, genau so blond, genau so zersaust
jedoch mit schutzigen, zerrissenen Kleidern und bis
auf die Knochen abgemagert. Ihr Gesicht weist um die
Nase herum einige Schürfwunden auf und an Stelle
der Zähne sehe ich nur einige schwarze Stummel.
Auf den ersten Blick glaube ich die Grossmutter der
Kleinen vor mir zu haben. "Sprichst du deutsch"
fragt sie mich in einer jung tönenden Stimme,
die gar nicht zu dem Bild passt, welches ich mir von
ihr gemacht hatte. Ich bejahe ihre Frage worauf sie
weiterfuhr: "Dachte ich mir, als ich die Schweizerfahne
an deinem Anhänger gesehen habe". Kerstin,
so heisst die junge Frau, denn, so erfahre ich nun,
sie ist 37 Jahre alt und die Mutter der beiden immer
noch badenden Wasserratten. Wir setzen uns ins Ufergras
während sie mir erklährt, dass sie mit ihrem
10 jährigen Sohn Tim und der 8 Jahre alten Tochter
Malou, zusammen mit 2 Eseln vor 30 Monaten in Deutschland
aufgebrochen sind um sich auf Pilgerschaft zu begeben.
Weiter erfahre ich, dass sie sich fast ausschliesslich
von Rohkost und meistens von dem was sie selber unterwegs
sammeln und pflücken können, ernähren.
Tatsächlich habe ich sie in den drei Tagen die
ich in ihrer Gesellschaft verbrachte, nur die im Schlosshof
gepflückte Mandeln, deren Schalen sie mit Steinen
aufbrachen und eine Art Mirabelle oder Pflaume, die
auf einem Baum nahe des Wehrturm wuchsen, essen sehen.
Quartier bezogen haben sie mit ihren Eseln nahe der
Schlossmauer auf einem Gelände wo ein Archeologenteam
Ausgrabungen machten und sie dort duldeten was mich
doch sehr verwunderte, aber umso besser. So habe ich
es mir kurzentschlossen auf dem gleichen Gelände
häuslich gemacht wobei sich schöne, saubere
Holzbretter, mit welchen sie ein Grab abgedeckt hatten,
geradezu als Schlafunterlage anbot. Ich gebe zu, dass
das Einschlafen in dieser Umgebung in der ersten Nacht
etwas gewöhnungsbedürftig war doch bald
übermannte mich die Müdigkeit trotz der
vielen undefinierbaren raschelnden und kratzenden
Geräusche um mich herum in der Dunkelheit. Nach
einem herzlichen Abschied von den Dreien resp. Fünfen
(die Esel mitgerechnet) verliess ich den für
mich zweitschönsten Ort dieses Landes und setzte
meinen Zickzackkurs bis nach der zum einen am Meer
und zum andern am südlichsten Zipfel Portugals
liegenden Stadt Faro, fort. Nun musste ich sie fällen,
die Entscheidung: "Wie oder wo weiter?"
Und da ich mich im Moment auf kein neues Ziel festlegen
konnte fuhr ich einfach mehr oder weniger der Küste
entlang zuerst west- und danach nordwärts bis
ich wieder in Lisboa landete um mich dann dort, man
glaubt es kaum zu entscheiden, meine Reise an der
spanischen Südküste fortzusetzen. Also rechtsumkehrt
und wieder nach Süden. Bekanntlich führen
viele Wege nach Rom und einige auch nach Faro, so
finde ich doch noch eine Route im Landesinnern die
ich noch nicht befahren habe und erspare es mir wenigstens,
zwei mal den gleichen Weg zurückzulegen, etwas
was ich bekanntlich äusserst ungern tue. Mit
der Fähre überquere ich dann in Vila Real
de St. António den mir bereits bekannten Rio
Guadiana und lande in der Ortschaft Ayamonte wo mir
am Preis für den Café con Lêche
und dem Sandwich soffort klar wird, ich bin wieder
auf spanischen Hoheitsgebiet. Nahe der Hafenstadt
Huelva, jedoch etwas abseits vom Meer finde ich einen
Campingplatz wo ich im Schatten eines grossen Baumes
mein Zelt aufstellen will. Kaum habe ich den Zeltsack
ausgepackt steht auch schon mein Parzellennachbar
neben mir und erklärt mir wo die Sonne am Morgen
auf- und am Abend untergeht, so wegen dem Schatten
und so. Ich erkläre ihm, dies spiele insofern
keine Rolle da ich jetzt am Abend den Schatten ja
sehe und ich am Morgen schon wieder unterwegs bin,
noch bevor die Sonne auf den Platz scheinen kann.
Ich merke, dass er mir gerne geholfen hätte und
so höre ich mir geduldig seine Schattenwurftherorie
an und stelle das Zelt danach gemäss seinem Ratschlag.
Punkt 2 nach dem Eintreffen auf dem Zeltplatz heisst
Wäscheleine spannen denn nach Punkt 3, Douchen
folgt mit Punkt 4, Velokleider waschen und zum trocknen
aufhängen. Kaum habe ich also die Leine in der
Hand steht Hans, so stellt er sich vor, bereits wieder
vor mir, diesmal mit 2 Hakenschrauben in der Hand,
zum Leine am Baum befestigen, wie er mir erklärt.
Ich sage ihm, dazu brauche man keine Schrauben denn
es genüge vollkommen, wenn man das Seil um den
Baumstamm wickle und festbinde. Diesmal bleibe ich
hartnäckig, denn ich mag es nicht wenn man Nägel
oder Schrauben in lebende Bäume zwängt.
Punkt 5 wird leicht abgeändert, denn anstelle
etwas zum trinken zu kaufen oder holen werde ich von
ihm zum Kaffee eingeladen was ich selbstverständlich
dankbar annehme. Kurz darauf winkt mir mein gesellschaftsbedürftige
Nachbar und bei Kaffe und "Güezi" erfahre
ich einiges über das Leben dieses etwas schrulligen
Wanderkauz wobei wir uns zuerst über seine Identität
klar werden müssen. Wenn schon der Name Hans
so gar nicht zu diesem mit südländischen
Zügen ausgestattete Gesicht passte dann konnte
ich noch weniger glauben, dass er ein gebürtiger
Deutscher sein solle wie er mir weismachen wollte.
Obwohl er zugegebenermassen gut deutsch sprach war
der italienische Akzent unverkennbar und das sagte
ich ihm auch. Nach einigem hin und hergeduckse war
er dann zuerst Deutscher, dann aber doch etwas Italiener
und zuletzt einigten wir uns auf einen Italodeutschen.
Damit waren wir dann beide zufrieden, habe aber nicht
herausgefunden, warum diese Geheimnisskrämerei
betreffend seinem Ursprungsland. Vielleicht hängt
das irgendwie mit seiner schweren Kindheit zusammen
die er, gemäss seiner Erzählung in vollkommer
Abgeschiedenheit unter mehr als nur ärmlichen,
eher erbärmlichen Umständen verbracht haben
muss. Er könne sich nicht erinnern, seinen Vater
je einmal nüchtern gesehen zu haben und auch
zur Mutter muss sein Verhältniss vollkommen gestörtes
gewesen sein. An seine Geschwister könne er sich
praktisch nicht erinnern, einmal seien sie da gewesen,
dann wieder längere Zeit nicht und als er Zuhause
ausbrach um nie mehr zurückzukehren habe seine
Lebensart mehr animalische als menschliche Züge
aufgewiesen. Von da an begann seine immerwährende
Wanderschaft die Gianni, so hiess er dann letztendlich
wirklich, auf mehreren Inseln in der Karibik, in verschiedenen
Orten Südamerikas und in mehreren Ländern
Asiens lebe liessen, nie aber länger als 3 -
4 Jahre, dann musste oder wollte er immer wieder weiter
ziehen um letztendlich in Hamburg zu landen. Aus jedem
dieser Orte wusste er spannende, manchmal haarsträubende
Episoden, seine Worte mit wild gestikulierenden Armbewegungen
unterstreichend, zu erzählendie und es war wirklich
aufregend, ihm zuzuhören. Aber auch in dieser
deutschen Hafenstadt blieb er gerade einmal 3 Jahre,
liess eines Tages alles stehen und liegen, stieg mit
dem allernötigsten Gepäck ins Flugzeug und
flog hierher nach Spanien. Warum er immer nur so kurz
an einem Ort blieb um dann Hals über Kopf weiterzuziehen
habe ich in dieser Nacht nicht erfahren. Wäre
ich länger in seiner Nachbarschaft geblieben,
und das hätte ihn, wie er mir beim Abschied versichert
sehr gefreut, hätte er mir dies und sicher noch
mehr aus seinem Leben offenbart. Ich glaube gemerkt
zu haben, dass es ihm sichtlich gut tat, jemandem
seine Lebensgeschichte erzählen zu können
aber vielleicht tat er das ja auch bei jedem der ihm
zuhörte, ich weiss es nicht. Meine eigene innere
Unruhe drängte mich aber auch nach weiter und
so verliess ich Gianni mit seinen abenteuerlichen
Geschichten am frühen Morgen, er stand übrigens
als ich aus dem Zelt kroch schon mit einer dampfenden
Tasse Kaffe vor dem Zelteingang, um meine Reise fortzusetzen.
Ich folge der Küstenstrasse, vorbei am Industrie-
und Hafenquartier und erreiche am späteren Vormittag
die ersten Fereinhaussiedlungen am Meer. Die Strassen
sind mit Sonnenschirm, Liegematte, Schwimmgurt und
anderen Strandutensilien ausgerüstete Badegäste
schon recht bevölkert und meine Nase umwehen
Gerüche aus einer Mischung von Sonnencréme
und gegrillten Sardinen. Wem es gefällt,der findet
hier fast alles, vom Suppermarkt zum Kino, von der
Boutique zum Luna Park, von der Bar über das
Speiserestaurant zur Disco. Selbstverständlich
gibt es auch noch den Strand un das Meer. Was man
leider nicht finden kann sind die Schönheiten
der Natur, denn diese wurden grosszügig und rigoros
vermauert und zubetoniert und auch die Ruhe bleibt
ein unerfüllbarer Wunsch auf dem Ferienwunschzettel.
Auf alles andere hätte ich verzichten wollen
aber gerade auf diese beiden letzteren Punkte nicht.
So war für mich noch vor dem Mittag klar, mein
Weg konnte nicht an dieser Küste weiterführen.
Dieser Entscheid trifft sich gut mit dem Umstand,
dass die Küstenstrasse nach wenigen Kilometern,
am Rande der "Doñana" nordwärts
ins Landesinnere führt um dieses, im Mündungsdelta
des "Guadalquivir" gelegene und 75'000 Hektar
grosse Naturschutzgebiet grossräumig zu umfahren.
Die aus den drei verschiedenen Landschaftsformen:
dem sandig-trockenen Heideland mit festen Dünen
("cota"), dem sich um etwa fünf Meter
jährlich bewegenden Wanderdünen im Küstenstreifen
("dunas móviles") und dem feuchten
Marschland ("marisma") bestehende "Doñana
ist auf Grund ihrer geographischen Lage eine von vielen
Vogelarten genutzte Zuflucht, was ihr eine herausragende
Bedeutung für Überwintern, Durchreise und
Aufzucht verleiht. Manchen Vogelarten, wie zum Beispiel
den Wildgänsen, dient sie gar als wichtigstes
Überwinterungsgebiet innerhalb Europas. Im Laufe
der verschiedenen Jahreszeiten lassen sich hier mehr
als 300 unterschiedliche Vogelarten beobachten. Einige
dieser Vögel, unter andrem der Kaiseradler, das
Purpurhuhn, Flamingos, Störche, Löffelschnäbler
und viele Arten deren Name ich leider nicht kenne,
habe ich während einer gebuchten Exkursion mit
einem Naturschutzaufseher selbst beobachten können.
Dieser einzigartige, 1994 von der Unesco zum Welterbe
der Menschheit erklärte Naturschutzpark, in welchem
nebst den Vögeln auch Rehe, Wildpferde, Füchse,
Biber und vor allem auch der vom Aussterben bedrohte
Iberische Luchs ihren Lebensraum haben wird aber leider
immer wieder von der unersättlichen Geldgier
einiger Menschen bedroht. 1986 starben zum Beispiel
mehr als 50'000 Vögel an den bedenkenlos über
die angrenzenden Felder ausgestreuten und z.T. schon
seit längerem verbotenen Pestiziden und Herbiziden
die in die flachen Gewässer gesickert sind und
1998 brach ein aus spargründen schlecht gesicherter
Damm eines Rückhaltebeckens der nördlich
gelegenen Aznalcóllar-Erzmine und 5 Mio. Kubikmeter
säure- und schwermetthaltiges Wasser und Schlamm
wälzte sich Richtung Park. Nur dank dem Einsatz
von tausenden von freiwilligen Helfern die unter Aufwand
von enormem Arbeits- und Geldaufwand Notdämme
aufschütteten, konnte der Grossteil der Katastrophe
abgewendet werden. Die Langzeitfolgen sind jedoch
noch nicht absehbar. So ist es nicht verwunderlich
dass sich Naturschützer und Landarbeiter in der
Umgebung sich des öftern in die Haare geraten
und die Naturfreunde sind gemäss ihrer eigenen
Aussage bereit, die "Doñana" bis
zu ihrem letzten Atemzug zu verteidigen. Dieser Kampf
wird nicht einfach sein, das bin ich mir bewusst,
aber es stimmt mich versöhnlich und zuversichtlich
zu wissen, dass es Menschen gibt die bereit sind,
sich für die Interessen der Natur und da gehören
wir alle ja dazu, auch wenn das erstaunlicherweise
oftmals von gewissen Erdgenossen vergessen wird, einzusetzen.
Vor lauter "Doñana" habe ich jetzt
der Geschichte aber vorgegriffen, denn noch befinde
ich mich auf dem Weg nordwärts zu meinem nächsten
Übernachtungsplatz. Diesen finde ich auf dem
Camping von "El Rocio", der ersten Ortschaft,
die ich seit verlassen der Küstenstrasse antreffe.
Schon von weitem leuchtet mir ein weisser Kirchturm
entgegen, weiss aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht,
dass es sich hierbei um die mir von einem Freund angekündigte
Wahlfahrtskirche "Santuario Nostra Signora del
Rocio" handelt an deren Fassade hunderte von
Schwalben ihre Nester haben. El Rocio selbst ist ein
Städtchen mit einer ganz speziellen Charakteristik,
sind doch all seine Strassen, Wege und Plätze
unbefestigt und bestehen nur aus Sand. Vor jedem Haus
ist strassenseitig eine Art gedeckte Veranda deren
Böden und Wände mit schönen, bunten
keramischen Platten belegt sind und den Bewohnern
ein schattiges Plätzchen vor dem Haus bieten.
Auffallend ist auch, dass vor sämtlichen Häusern
Haltestangen für die Pferde im Boden befestigt
sind, verwundert aber nicht wenn man weiss, dass "El
Rocio" 1992 zum internat. Ort des Pferdes erklärt
wurde und "Der" Ort ist, wo die berühmten
"Andalusier-Pferde" gezüchtet werden.
In der Pfingstwoche findet zudem das zweitgrösste
Fest der Welt mit 1,5 Mio Menschen und ca. 100'000
Pferden statt und am 26. Juni werden ca. 3'000 Wildpferde
aus den Marismas, das sind die Feuchtgebiete zwischen
El Rocio und dem Atlantik, nach Almonte, einem 15
Km von Rocio gelegenen Ort zum Pferdemarkt getrieben.
Dieser Ort war mir jedenfalls gleich sympatisch auch
wenn ich beim Versuch zur Kirche zu fahren schon nach
wenigen Metern im Sand stecken blieb und das Rad den
Rest des Weges schieben musste. Doch bevor ich auf
den Campingplatz fahre ist es höchste Zeit diesen
Bericht über Portugal abzuschliessen, schliesslich
befinde ich mich bereits seit 2 Tagen wieder in Spanien.
Doch zuallerletzt möchte ich doch noch eines
festhalten. Wie auch immer ich in meinen Berichten
Orte oder Menschen beschreibe, was ich jeweils empfinde,
ob im positiven oder negativen, so ist es doch immer
meine ganz persöndlichen Ansicht, die durch den
Moment entsteht. Eindrücke sind wie Momentaufnahmen
und werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst
wie Stimmung, Gemütslage, Tageszeit, Wetter,
Kontakt mit den ersten Menschen denen man an diesem
Ort begegnet und anderes mehr. Viel wesentlicher als
was mein Auge sieht oder Ohr hört ist was ich
in dem Moment fühle. Das Gefühl entscheidet
letztendlich alles und ist für mich daher so
enorm wichtig, nein das Wichtigste überhaupt.
Es wäre mein Wunsch, dass die Menschen sich getrauen
würden, mehr Gefühl zu zeigen und es nicht
aus Überlegung oder taktischen Gründen zu
verstecken oder unterdrücken, weder vor den Anderen
noch vor sich selbst.
"Was suche ich denn hier eigentlich noch. Werde
ich je Antwort auf diese Frage bekommen?" Diese
Frage habe ich mir kurz vor der Grenze zu Portugal
gestellt. Nun habe ich das Land wieder verlassen und
vielleicht wird es einemal eine Antwort geben, vielleicht!
Doch mein Gefühl sagt mir dass ich wahrscheindlich
noch lange auf diesem Weg werde fahren müssen
um sie zu erhalten. Unter Umständen bis ans Ende
meines Lebens. Und! Was würde das für eine
Rolle spielen?
Ich umarme Euch alle, Curi
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