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Portugal

Monçao lese ich auf dem Wegweiser und bin beruhigt. Ich befinde mich noch auf dem richtigen Weg zur Grenze Portugals. Santiago habe ich vor zwei Tagen wie gewohnt bei Tagesanbruch verlassen und die Nacht kurz nach der Stadt Vigo auf einem Campingplatz am Meer verbracht. Das Wiedersehen mit der blauen Weite hat alte Erinnerungen hochgespühlt und mein Seelenleben ganz schön durcheinander gewirbelt. Nun, auch das ist vorübergegangen und seit dem frühen Morgen bin ich wieder landeinwärts unterwegs. Längere Zeit muss ich aus Mangel an Alternativen der Hauptstrasse folgen und die oftmals haarscharf an mir vorbeidonnernden Lastwagenfolge, deren Luftdruck mich manchmal ganz schön ins wanken bringen, lassen es mir einige Male kalt den Rücken hinunterlaufen. Die Gegend hier ist recht hügelig und während der Fahrt vertreibe ich mir die Zeit, mir links und rechts der Strasse die Gärten der Anwohner anzusehen und versuche zu erraten, was hier wohl alles gepflanzt wurde. Nach dem wiederholten Anstieg auf die nächste Anhöhe erblicke ich auf meiner linken Seite, wie sich ein Fusspfad zwischen einigen Büschen und Bäumen dahinschlängelt um in einem dichten Eukalyptuswald zu verschwinden. Endlich Gelegenheit diese asphaltierte Strasse wieder zu verlassen. So suche ich die Abzweigung zu diesem Weg und nach zwei Fehlversuchen, wobei mich der eine beinahe den Biss eines wütenden Hofhundes in die Wade gekostet hätte, finde ich beim dritten Anlauf den richtigen Einstieg. Ein Glücksgriff. Über eine Stunden lang folge ich diesem leicht ansteigenden, schmalen Pfad. Die Unterlage aus festgetretener Erde leisten den Reifen kaum Wiederstand und schlucken auch jegliches Rollgeräusch. Die meisten der Eukalyptusbäume müssen, gemessen an ihrem grossen Stammumfang schon recht alt sein. Grosse, hautähnliche Stücke ihrer Rinde hängen an den Stämmen hinunter wie menschliche Haut nach einem Sonnenbrand und der Duft ihres ätherischen Öles ist so intensiv, dass es mir fast "sturm" wird. Ich wundere mich, warum dieser Weg nicht wie in diesen Wäldern üblich voller Laub ist. Irgend jemand muss viel Mühe aufwenden um ihn sauber zu halten, aber wer und warum. Eine der Fragen, die für mich wohl immer unbeantwortet bleiben wird. Die Sonne dringt nur spärlich durchs Blätterdach und das Licht der vereinzelt auf den Boden, dem wenigen Unterholz und der herabhängenden Rindenfetzen treffenden Strahlen gaukeln mir allerlei Fantasiegestalten vor. Sandras Gesicht taucht vor mir auf. Sie liegt im Spitalbett, lächelt mich auf ihre bezaubernde Weise an und erzählt mir, sie hätte die ganze Nacht draussen unter den Bäumen Gnome, Wurzel- und Erdmännchen gesehen. Sie seien ganz lustig gewesen, hätten ihr zugewinkt und sie habe eigentümlicherweise überhaupt keine Angst gehabt. Leider habe sie nicht verstanden, was sie ihr denn hätten sagen wollen. Das Rad rollt geräuschlos über den Weg. Ich hohle tief Atem um den Druck auf der Brust etwas zu verringern. Wenn es doch nur einfach abheben und mit mir davonfliegen fliegen würde, mitten in den Himmel hinein, so wie es Ludwig Hirsch in seinem Lied "Komm, grosser schwarzer Vogel, komm" besingt. Mitten in den Himmel hinein. Warum kann oder darf ich das denn nicht? Was suche ich denn hier eigentlich noch? Werde ich je eine Antwort auf diese Frage bekommen? Ich sehe mich um. Die Fantasiegestalten sind verschwunden. Es ist heller geworden, der Wald lichtet sich und der Erdweg geht in eine Kiesstrasse über die sich nach wenigen hundert Meter teilt. Wärend die eine links am Hang weiter bergwärts steigt, senkt sich die andere auf der rechten Seite talwärts und wie immer in solchen Situationen, weit und breit nichts von einem Strassenschild. Ich überlege kurz: " also wenn ich jetzt talwärts fahre und unten merke dass ich falsch bin darf ich zusätzlich zum ärgern noch den ganzen Weg wieder bergauf strampeln. Da fahre ich doch lieber den Berg hoch, so kann ich es bei falscher Wahl zum Trost wenigstens talwärts rollen lassen". Oben angekommen führt der Weg dem Hügelrücken entlang und teilt sich noch einmal. Diesmal führen beide Wege talwärts, der eine aber links und der andere rechts vom Berg. Und was wende ich nun für eine Logik an, frage ich mich, während ich anhalte und einen schluck aus der Flasche trinke. Die Sonne steht schon recht hoch am HimmeIn und auf Stirne und Armen bilden sich feine Schweissperlen. In weiter Ferne höre ich einen altbekannten Ruf und ich kann nicht vermeiden, dass Hühnerhaut meinen Körper überzieht. Rechts von mir, fast auf gleicher Höhe kreisen zwei Milane über dem Tal und lassen von Zeit zu Zeit ihren Ruf weit über die Ebene erschallen, dieser Ruf, in welchem ich glaube, immer eine Spur Melancholie mitschwingen zu hören. Meine Frage ist beantwortet, denke ich für mich, stecke die Trinkflasche in ihre Halterung, wende den Lenker nach rechts und setze mein Fahrrad Richtung Tal in Bewegung. Unten angekommen gehts einem ausgetrockneten Bachbett entlang weiter bis der Weg auf eine befestigte Strasse mündet. Wiederum entscheide ich mich für Rechts und folge der Strasse einige Kilometer bis zu der Kreuzung, wo ich dann endlich zu meiner Beruhigung den Wegweiser mit der Ortsanschrift Monçao lese.

Kurze Zeit später überquere ich die Grenze zu Portugal und nie ist mir der Übergang in ein anderes Land gefühlsmässig so aufgefallen wie gerade hier. Keine Ahnung woran das liegen konnte, denn nichts war auffallend anders als in Spanien. Es war ganz einfach nur ein Gefühl und mir schien als habe die ganze Umgebung eine positivere Schwingung erhalten von der ich selbst auch angesteckt wurde. Die Luft schien mir besser, der Duft angenehmer und das ganze Umfeld strahlte Ruhe und Gelassenheit aus. Der Motorenlärm des jetzt in grenznähe zugenommenen Fahrzeugverkehrs empfand ich als weniger laut und stöhrend und irgendwie hatte ich das empfinden, das Singen der Vögel sei hier sogar etwas fröhlicher.

Bei der ersten Bar die ich antreffe halte ich an. Eine Frau mittleren Alters begrüsst mich mit einem freundlichen Lächeln und gibt sich alle Mühe zu verstehen, was ich gerne möchte. Das "Café con Leche" heisst hier "Colao" und das "Bocadillos" wieder "Sandwich" und wenn man eines mit Käse und Schinken belegt haben möchte heisst es ganz einfach "mixto". Sie deutet mir an, draussen Platz zu nehmen und so setze ich mich an einen der vier Tische in dem von einem grossen Laubbaum beschatteten Garten. Ein sanfter Wind lässt die Blätter über mir rauschen und vermittelt etwas Kühle. Aus dem Lautsprecher über der Eingangstüre tönt altbekannte Musik der 60er und 70er Jahre. Ich lehne mich zurück, schliesse die Augen und fühle mich für einmal rundum gut. Dies scheint auch ein kleiner Hund zu spüren der sich mir ganz zaghaft nähert. Soffort kommt mir "Bardi", der alte Bekannte aus den Bardenas in den Sinn und so wie er damals, trägt auch dieser Kleine da kein Halsband. Im Gegensatz zu Bardi hat er ein zwar auch kurzhaariges,aber schwarzes Fell mit einer weissen Schnauzenspitze, Hängeöhrchen und ein dünnes Ringelschwänzchen. Zudem ist er bedeutend zutraulicher und legt sich gleich neben meinem Stuhl auf den mit Natursteinplatten belegte Boden. Scheint wohl auch niemandem zu gehören, denke ich und kraule ihn hinter dem Ohr. Ich bemerke eine Unebenheit in seinem Fell und beim Nachsehen bestätigt sich meine Vermutung. Eine Zecke hat sich in seiner Haut festgebissen und bereits vollgesaug. Eine genauere Untersuchung fördert noch eine Unmenge dieser Blutsauger zu Tage die sich überall eingenistet haben, hinter und in den Ohren, zwischen den Zehen, in den Achselhöhlen, am Bauch und überall wo sich eine Blutbahn unter der Hundehaut befand. Der Arme war regelrecht übersäht von diesen Fichern. Schon begann ich, ihn davon zu befreien und hörte erst damit auf als ich sicher sein konnte, auch der letzte dieser Parasiten erwischt zu haben. In dieser Arbeit vertieft hatte ich gar nicht bemerkt, dass die Frau in der Zwischenzeit Getränk und Sandwich auf meinen Tisch gestellt hatte und nun neben meinem Stuhl stand, Watte und ein Fläschen mit einem desinfizierendem Mittel in den Händen. Als sie sah, dass ich mit "Zeckenpflücken" fertig war, bückte sie sich und gemeinsam behandelten wir die Bisswunden von denen einige doch recht stark bluteten.

Beim Aufbruch liess sich die gute Frau trotz allem Bemühen meinerseits nicht dazu bringen, Geld für Essen und Getränk von mir anzunehmen und blieb hartnäckig, bis ich auf dem Rad sass und losfuhr. Beim wegfahren winkte sie mir nach und ich hörte gerade noch wie sie etwas hinterherrief, das ich leider nicht verstanden habe. Wie wenig braucht es doch etwas Mitgefühl zu zeigen ob nun gegenüber Mensch oder Tier und wie Herzgewinnend kann dies doch sein. Warum verstecken wir Menschen uns nur hinter der Fassade der Gleichgültigkeit, schauen weg oder wechseln die Strassenseite wenn wir einem Armen oder Bedürftigen begegnen als hätten wir Angst, man könnte uns irgend etwas wegnehm. Machen uns die paar Münzen, das freundliche und verständnissvolle Lächeln oder einige Minuten unserer Zeit wirklich ärmer. Vielleicht sind wir uns nur nicht bewusst, dass diese kleine Investition ein grosser Gewinn in unserem Seelenleben und gleichzeitig ein kleiner aber wichtiger Beitrag an eine Welt mit mehr Herz bedeuten kann. Portugal hat mich freundlich empfangen und diese positive Stimmung ist geblieben während der ganzen Dauer meines Aufenthaltes. Der weitere Weg führt mich am Rande des "Parque Nacional da Peneda Gerês" vorbei, wobei ich zuerst den Rio Lima und danach den Rio Cávado überquere. Am Nachmittag des nächsten Tages nähere ich mich der Stadt Braga. Noch lange bevor ich die Stadt erreiche überfällt mich urplötzlich ein komisches Gefühl. Irgend etwas stimmt hier nicht aber was? Mit einem Male fällt mir auf, dass gar keine Menschen, weder zu Fuss noch im Auto auf den Strassen anzutreffen sind. Alles wirkt wie ausgestorben und verlassen obwohl normalerweise der Verkehr je näher man einer Stadt kommt desto mehr zunimmt. Hier ist gerade das Gegenteil der Fall und das kommt mir doch sehr "spanisch" d.h. eigentlich "portugisisch" vor.

Seit über einem Monat hatte ich weder Radio gehört, nie Fern gesehen und keine Zeitung gelesen. Kurz, ich habe keine Ahnung, was seit meiner Abreise auf der Welt so alles passiert war und langsam wird es mir fast etwas unheimlich. Habe ich ev. irgend etwas verpasst, ist etwas passiert von dem ich keine Ahnung habe, ein terroristischer Anschlag, ein erneuter Krieg oder sonst ein grosses Unglück. Ich weiss nicht warum, aber an die Fussball-EM hatte ich die ganze Zeit nie gedach und bin in diesem Moment einfach nicht darauf gekommen, dass das etwas mit ihr zutun haben könnte. Beim Durchfahren der Vororte von Braga fällt es mir dann wie Schuppen von den Augen. Ach Gott die EM, genau, sage ich im Selbstgespräch zu mir selbst und bin tatsächlich etwas erleichtert. Aus den meisten Fenster der Wohnhäuser wehen die Fahnen Portugals, die Dekoration in den Schaufenster der Geschäfte haben dieses Fussballereigniss zum Motto und sogar einem Hund der vor mir die Strasse überquerte hatt man ein Tuch mit den Farben Portugals um den Hals gebunden. Im Zentrum selbst treffe ich dann auf all die vorher in den Strassen Vermissten auf der "Plaza de la Republica" und wer dort keinen Platz gefunden hat, drängt sich in die Gassen der Fussgängerzone. Fast kein Schaufenstern oder Restaurant ohne Fernseher und auf dem Hauptplatz selbst steht eine riesige Grossleinwand. Portugal, Portugal, tönte es aus tausenden von Kehlen während gleichzeitig Fahnen und Halstücher voller Entusiasmus geschwenkt werden. Das Eröffnungsspiel zwischen Portugal und Griechenland steht kurz vor seinem Anpfiff und die ganze Stadt, nein, wohl das ganze Land ist aus dem "Häuschen". Die zweite Überraschung des Tages erreicht mich nach Ende des Spiels, als ich mit meiner Mutter telefoniere. Meine Brüder wollen mit Freunden nach Lissabon fliegen und sich das zweite und dritte Spiel der Schweiz ansehen. Sie haben vorsorglicherweise auch für mich Eintrittskarten gekauft, für den Fall, dass ich mir die Spiele auch ansehen möchte und es bis zum Austragungstag nach Coimbra schaffe.

Natürlich will ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und verspreche, alles notwendige zu tun um zum richtigen Zeitpunkt im Sadion einzutreffen. Nach dem ersten Spiel unserer Nationalelf, welches ich mir auf der erwähnten Grossleinwand in Braga ansehen konnte, setzte ich meine Reise fort. In der Stadt Amarante entzünde ich in der Kirche des heiligen Concelvo mehrere Kerzen, so wie ich es einem lieben Menschen versprochen hatte, sollte mich meine Reise durch diese Ortschaft führen. Bevor ich in Coimbra eintreffe durchquere ich noch die "Reserva Botanica de Cambarinho". Coimbra selbst gefällt mir ganz und gar nicht und so verlasse ich diese Universitätsstadt auf der anderen Seite gleich wieder um dem Lauf des Rio Mondego zu folgen bis ich in Penacova auf einen direkt am Flussufer gelegenen Campingplatz stosse. Nachdem ich mein Zelt aufgestellt habe entdecke ich zu meiner Freude, dass ich drei aufgestellte "Bärner-Giele" zu meinen Nachbarn zählen darf. Wie viele andere sind auch sie eigens für die EM nach Portugal gereist und entpuppen sich als wahre Fussballkenner. Ob Spielernahmen, Mannschaften, Resultate oder was auch immer man über Fussball wissen sollte, ihnen war es bekannt. Freundlicherweise durfte ich mit ihnen im VW-Bus nach Coimbra zum Spiel mitfahren und kehrte mit ihnen auch wieder auf den Camping zurück. Ich verbrachte mit den Dreien einige wirklich schöne Stunden und hoffe, sie sind wohlbehalten wieder nach Hause zurückgekehrt. Der Besuch in Coimbra stand dann selbstverständlich ganz im Zeichen des Wiedersehens mit meinen Brüdern über das ich mich wirklich von Herzen gefreut habe, das Wiedersehen der Freunde und natürlich dem Spiel, das wir bekanntlich leider verloren haben. Bis zum nächsten Einsatz der Schweizer sollte es noch eine Woche dauern und so benütze ich die Gelegenheit einen Abstecher in die "Serra da Estrela" mit dem 1993 Meter hohen "Torre" zu machen. Der Aufstieg zu diesem höchsten Berg Portugals kostet mich eine Menge Schweiss gilt es doch vom Ufer des auf ca. 250 M liegenden Rio Mondego insgesammt 1740 Höhenmeter zu überwinden. Umso grösser ist die Genugtuung es geschafft zu haben, auch mit Anhänger und dem ganzen Gepäck. Die auf dem Torre angetroffenen Skilifte verraten mir, dass hier im Winter anscheinend sogar Ski gefahren werden kann. Der "Parque Natural da Estrela" habe ich als landschaftlich sehr schöne Gegend kennengelernt das jeden investierten Schweisstropfen wert war.

Ich bin auf dem Rückweg Richtung Coimbra, die Sonne steht schon tief am Horizont und meine Lebensmittelvorräte seit der Mittagsrast aufgebraucht. Schon seit längerem halte ich vergeblich nach einer Möglichkeit Ausschau, etwas zum Essen und zu Trinken einzukaufen . Ein Blick auf die Karte zeigt mir, dass ich nur noch eine einzige und erst noch ganz kleine Ortschaft durchquere, bevor dann der Weg durch mindestens eine 40 Km lange unbewohnte Gegend führt. Das würde heissen durstig und mit leerem Magen irgendwo in der "Wildniss" übernachten zu müssen, denn in der stockfinsteren Nacht ohne Licht weiterzufahren ist nicht ratsam. Endlich erreiche ich den Ort und bei der ersten Person die ich antreffe erkundige ich mich nach einer Einkaufs- oder ev. gar Schlafmöglichkeit. Eine ganz in Schwarz gekleidete, ältere Frau, das Haupt mit einem ebenfalls schwarzen Kopftuch bedeckt, den Rücken vermutlich von jahrelanger, harten Feldarbeit gebeugt, stützt sich auf einen hölzernen Spazierstock. Bereitwillig beschreibt sie mir den Weg zum einzigen Lebensmittelgeschäft des Ortes und erklärt mir, dass oberhalb des Dorfrestaurant, welches wiederum nur nach Durchfahren von einigen verwinkelten Gässchen und Gassen zu finden ist, eine Frau private Unterkunft anbiete. Nach zweimaligem Verfahren und gleichvielem Nachfragen finde ich die gesuchte Person tatsächlich. Ich habe meine Bitte kaum vorgetragen schlägt sie auch schon die Hände über dem Kopf zusammen. "Das ganze Jahr kommt praktisch niemand" erklärt sie mir in gutem französisch "und jetzt so viele auf einmal". Ich erfahre, dass bereits am Nachmittag ganz unangemeldet eine Gruppe Schweizer all ihre vorhandenen Zimmer belegt hätten. Kein einziges Bett sei noch frei. Noch stehe ich etwas ratlos da und weiss nicht recht was ich sagen soll, da nimmt sie mich schon bei der Hand und zieht mich in ihre Wohnung wo sie mich im Korridor stehen lässt und in der Küche, ich sehe es durch die offene Türe, einige Worte mit ihrem Mann wechselt. Kurz darauf werden im Wohnzimmer einige Möbel verrückt um Platz für ein Notbett zu schaffen. Die Douche befindet sich da hinten, sie hole nur noch schnell ein frisches Badetuch und wo die Küche ist, falls ich etwas kochen möchte hätte ich ja bereits gesehen. Geschirr und Pfannen könne ich die ihren benutzen, ansonsten sei im Erdgeschoss ein Restaurant und der Wirt ein guter Koch. Ich entscheide mich für das letztere und frisch geduscht betrete ich kurze Zeit später das Speiselokal. Die erwähnten Schweizer, die ich gerade beim Nachtessen antreffe entpuppen sich als sieben Basler Fussballfans die sich ebenfalls wegen der EM hier befinden. Auch sie sind durch viele verschiedene Umständen unvorhergesehen hier gelandet, erklären sie mir und laden mich kurzerhand ein, bei ihnen Platz zu nehmen und mitzuessen. Es wird ein ganz kurzweiliger und geselliger Abend im Kreise dieser Basler Jungs. Es ist schon spät, als wir uns verabschieden um unsere Zimmer aufzusuchen. Ganz leise öffne ich die Türe zur Wohnung und begebe mich auf Zehenspitzen zu mein Zimmer. Ich bin müde und froh, diese Nacht so ganz ungeplant in einem Bett verbringen zu können. Noch habe ich das Zimmer nicht erreicht, öffnet sich die Türe zur Küche und "schwupps" sitze ich, noch ehe ich richtig kappiere was passiert am Küchentisch umringt von mehreren Menschen. Bei Kaffe, Portwein und Kuchen erfahre ich nun die Lebensgeschichte dieser Menschen, ihrem über 30jährigen Lebensabschnitt als Gastarbeiter in Neuenburg, der Geburt ihrer Kinde in der Schweiz, die vielen Freunde die sie bei ihrer Rückkehr nach Portugal in ihrer zweiten Heimat, wie sie es nannten, zurücklassen mussten, die durchlittene Krise die sie aber noch schlimmer die ihre Kinder nach der Rückkehr in ihre ursprüngliche Heimat durchgemacht haben und der vielen guten Erinnerungen die sie noch heute mit der Schweiz verbinden.

Man merkte es ihnen an, es tat gut die alten Erlebnisse und Geschichten wieder einmal aufzufrischen zu können und ich habe einiges über die Lebenserfahrungen einer Gastarbeiterfamilie erfahren können. Es wurde eine kurze Nacht, doch an Stelle der Stunden in der Küche mit diesen herzlichen Menschen diese mit Schlaf verbracht zu haben währe ein schlechter Tausch gewesen, für beide Seiten.

Einen Tag vor dem dritten EM-Spiel der Schweiz treffe ich wieder auf dem Campingplatz am Rio Mondego ein. Hier stosse ich auch wieder auf die Berner-Jungs und Tags darauf gehts wieder mit dem VW-Bus nach Coimbra, zu meinen Brüdern, ihren Freunden und natürlich zum Spiel, das wir wie bekannt leider auch wieder verloren haben. Damit war das ungeplante Intermezzo vorbei. Ich habe mich sehr gefreut meine Brüder zu treffen und bin ihnen dankbar, dass sie mir ermöglicht haben, die EM-Spiele der Schweizer Nationalmannschaft in dieser wirklich einmaligen Atmosphäre miterleben zu können. Natürlich war das Thema EM damit nicht beendet sondern begleitete mich fast während meines ganzen Aufenthaltes in Portugal. Immer und überall war die EM present. Das ganze Land wimmelte von Ausländern aus den an diesem sportlichen Grossereigniss teilnehmenden Nationen und fast jeder Portugiese ob Urgrossmutter, Grossvater oder Säugling trug irgend etwas in den Nationalfarben Portugals auf sich. Ob an Autos, Motorräder, Busse, Traktoren auf dem Felde und anderen Fahrzeugen wehten porugisische Fahnen und Wimpel. Die Fernsehsender übertrugen von morgends bis abends fussballorientierte Themen und bei den Portugalspielen war das ganze Land, vom Jüngsten bis zur Ältestesten im Banne des Lederballs . Für die meisten dieser Menschen ging es aber um weit mehr als um Fussball und ich behaupte, dass die meisten dieser Begeisterten sich normalerweise nie ein Fussballspiel ansehen. Nein es ging hier um viel mehr und das merkte ich auch daran, dass sich das allgemeine Interesse auf die Spiele der portugisischen Mannschaft beschränkten. Alle anderen Spiele nahmen die Einheimischen kaum zur Kenntniss und die Fernseher in den Restaurants wurden bei den restlichen Übertragungen ausschliesslich von ausländischen Sportbegeisterte belagert.

Am nächsten Tag verlasse ich den Camping Penacova,setze meine Fahrt über die "Serra da Lousã" fort und erreiche einen Tag später den bekannten Wahlfartsort "Fatima". Vergleichbar ist diese Pilgerstätte in etwa mit Lourdes nur dass mir der Ort am Fusse der französischen Pyrenäen in jeder Hinsicht nicht nur besser, sondern sogar viel besser gefallen hat. Mein Herz wollte sich hier nicht so recht erwärmen und eine innere Stimme drängte zur Weiterfahrt. Bis hier her führte mich mein Weg über mehrheitlich hügeliges Gelände, hauptsächlich von Klein- und Kleinstbauern bewohnter Arbeits- und Lebensraum. Auf den kleinen Äckern und Feldern gedeihte allerlei Gemüse, Kartoffeln, verschiedene Weizenarten und auch einige Reben. Viehzucht fehlte praktisch ganz oder wurde nur in so kleinem Ramen betrieben, dass es mir nicht auffiel. Alles in allem eine gesunde Mischwirtschaft die mir gut gefiel und die Fahrt durch diese Gegend abwechslungsreich gestaltete. Die Wälder hingegen bestanden, mit Ausnahme in den Naturschutzgebieten, fast ausschliesslich aus intensiv bewirtschafteten Eukalyptuswäldern. Das Singen der Vögel wurde meistens vom knattern der Kettensägen übertönt und auf den Waldwegen standen oder fuhren mit Eukalyptusstämmen vollbeladene Sattelschlepper. Einer der Waldarbeiter gibt mir auf meine Frage hin die Auskunft, dass dieses Holz ausschliesslich für die Papierherstellung verwendet wird und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Portugal darstellt. Mir jedoch wurde es beim Durchfahren dieser eintönige Monokultur zunehmends langweiliger und war gar nicht glücklich wenn ich feststellte, dass der Weg wieder auf den nächsten Wald zusteuerte, feiner Eukalyptusduft hin oder her. Ab Fatima ändert sich das Bild vollständig. Während sich mir die am Morgen durchfahrene Landschaft aus einer Mischung aus Jura und Ardéche presentiert, erinnert mich die Gegend am Nachmittag eher der Toscana. Noch vor Ende des Tages flacht sich das hügelige Gelände zunehmends ab und in der Nähe von Santarém, auf einem der letzten Erhebungen weitet sich vor mir eine immense Ebene aus die sich bis zum Horizont hinzieht. Die Farbe grün, die mich bis hierher in all ihren verschiedenen Variationen begleitet hatte weicht nun dem goldgelb der ausgedehnten Weizenfeldern und Weideflächen. Anstelle der Eukalyptusbäume finden sich nun Olivenbäume und Korkeichen verstreut auf den ausgetrockneten Weideflächen und die sich schlangenähnlich durch die Landschaft hinziehenden, in intensivem Rosa blühenden Reihen von Oleanderbüschen verraten mir schon von weitem, wo ein zu dieser Jahreszeit meist ausgetrocknetes Bach- oder Flussbett zu finden ist. Staub liegt in der Luft und vermittelt das Gefühl, die Luft sei irgendwie dicker geworden und auch die Temperatur ist merklich angestiegen. Weidende Vieherden bevölkern die Grasflächen und in der Luft begrüssen mich die Störche wieder, welche ich seit dem überfahren des zur Gebirgskette der Kordilleren gehörende Cebreiro-Pass im Nordwesten Spaniens nie mehr gesehen hatte. Die kilometerlangen Zäune und die Gutshöfe die nebst dem meist sehr feudalen, manchmal fast schlossähnlichen Herrschaftshaus auch über einen grossen und moderner Maschinenpark verfügen zeigen mir deutlich, hier sind die Grossgrundbesitzer zuhause.

In Setúbal stosse ich das zweite Mal aufs Meer, stelle hier mein Zelt auf und besuche mit dem Bus die Weltstadt Lissabon. Die gut erhaltene und gepflegte Altstadt, die meistens noch mit altem Kopfsteinplaster belegten Strassen und Gassen, die schönen und ebenfalls gut unterhaltenen hystorischen Gebäuden und Plätze, die alten Trams, welche in engsten Gassen unglaubliche Steigungen bezwingen und deren Chauffeure gelassen mal hier und da winken, geduldig warten wenn sie wegen einem schlecht parkierten Wagen die Fahrt nicht forstetzen können und mal anhalten auch wenn gerade keine Haltestelle ist, um einen älteren Passagier ein- oder aussteigen zu lassen, die modernen Einkaufszentren, Sportanlagen, Parks und Wohnviertel haben in mir den Eindruck hinterlassen, mit Lisboa eine der schöneren Städte dieser Grösse gesehen zu haben.

Das gleiche gilt auch für das dort besuchte Ozeanarium, das mit 7 Mio Liter Wasser welches von 27 cm dicken, speziell zu diesem Zweck hergestellten Acrylglasscheiben

zurückgehalten werden und Lebensraum für 15000 Tiere aus 450 Arten bietet. Vom Hai über den Rochen bis hin zum Clownfisch und Muräne ist fast alles zu sehen was in unseren verschiedenen Weltmeeren, ob es nun der offene Ozean, die Riff's der Südsee, die Klippen der Nordsee oder den Mangroven, lebt. Ein weiterer Besuch galt dem Zoo von Lissabon, der gemäss seinen eigenen Angaben zu den grössten der Welt zählen soll. Leider gilt hier wie all zu oft das Motto, möglichst viele verschiedene Exemplare in grosser Anzahl halten, das ist atraktiv und bringt Besucherzahlen, auch wenn der Platz für all die Tiere eigentlich längst nicht mehr ausreicht und weit unter jeder Norm liegt. Dazu kommte der Umstand, dass damit der Besucher sie besser beobachten kann, oft auf jegliche Versteck- oder Rückzugsmöglichkeit verzichtet wird was der Wesensart jedes wildlebenden Tieres entgegenspricht. So verlasse ich diesen sogenannten Naturpark enttäuscht und auch etwas gefrustet und verbringe den Rest des Tages, mit den alten Trams die Stadt kreuz und quer zu durchfahren, auszusteigen wenn ich etwas interessantes entdecke um mit dem Nächsten meine Besichtigungstour fortzusetzen.

Lisboa verlasse ich in östlicher Richtung bis zur 50 Km vor der spanischen Grenze liegenden Stadt Évora und entdecke hier für mich die schönste Stadt Portugals. Die ursprüngliche Bausupstanz der ganzen Ortschaft ist so gut erhalten, dass man daraus nur die Autos und Strassenschilder entfernen müsste um einen Film übers Mittelalter drehen zu können. Stundenlang bin ich durch die mit Klopfsteinpflaster belegten, ansteigenden oder abfallenden, mit reichlich Pflanzen und Blumen verschönerten Gassen und Gässchen spaziert und konnte mich an den vielen liebevoll erhaltenen oder restaurierten Sehenswürdigkeiten gar nicht satt sehen.

Die schneeweiss getünchten Hausfassaden mit den in verschiedenen pastelltönen gestrichenen Sockel, Fenster- und Türeinrahmungen sowie die zwiebelförmigen Kaminhüte und Bedachungen der kleinen auf den Dächern angebrachten Türmchen lassen den orientalischen Einfluss ganz klar erkennen.

Von Évora aus gehts dann in einer Zickzacklinie südwärts weiter am Stausee Odivelas und der Ortschaft Serpa vorbei. Während mich der Weg in engen Kehren talwärts zum Flussbett des Rio Guadiana führt, begrüsst mich am gegenüberliegenden Hang das in der vollen Nachmittagssonne stehende Städtchen Mertola. Strahlendweisse Haussfassaden leuchten mir entgegen und dominant steht der Schlossturm am höchsten Punkt des Ortes und wacht über die Bewohner dieser fast märchenhaft anmutenden Ortschaft. Da weit und breit kein Campingplatz ist, (Auskunft des Tourismusbüro am Ortseingang) entschliesse ich mich, mein Zelt ausserhalb der Ortschaft am Flussufer aufzustellen. Einen geeigneten Platz hatte ich schon bei der Überquerung der Brücke ausgemacht und kurz darauf habe ich mein provisorisches Zuhause auf einem schönen Plätzchen nahe des Wassers aufgestellt. Nun noch schnell ins nächste Lebensmittelgeschäft um Trink- und Esswaren einzukaufen dann wird noch genügend Zeit zu einer ersten Ortsbesichtigung bleiben. Mit vollen Taschen radle ich zurück zu meinem Übernachtungsplatz und bemerke gleich beim ersten Blick zum Fluss hinunter, dass sich das Landschaftsbild verändert hat. Die Wasserfläche hat sich bedeutend vergrössert während sich der Landanteil um die gleiche Fläche verkleiner hat. Ich ahne böses und fahre nun so schnell ich kann zu meinem Zelt. Tatsächlich, obwohl es von hier zum Meer noch gut 70 Km sind, beeinflussen Flut und Ebbe auch den Wasserspiegel des Flusses und lassen ihn hier, das habe ich später festgestellt, um ca. 150cm ansteigen. Mein Schlafzimmer ist also bei meinem Eintreffen praktisch von Wassermassen umgeben und nur dank der wasserdichte Wanne des Innenzeltes ist mein Gepäck und der Schlafsack trocken geblieben. So schnell ich kann demontiere ich mein Zelt und trage alles an eine trockene Stelle am Ufer. Für heute habe ich aber genug vom Campieren und so packe ich meine Habseligkeiten wieder fein säuberlich zusammen und belade damit meinen Anhänger. Noch während ich das Gepäck mit den Gurten befestige erhasche ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung und glaube tatsächlich den aus der Fernsehsendung bekannte "Pumuckerl" neben mir zu haben. Nur hat dieser hier einen strohblonden an Stelle des roten Haarschopfes, aber genau so wirr und zersaust.

Mehr kann ich nicht erkennen denn da ist er auch schon an mir vorbei und seinen Sprung ins Wasser begleitet er mit einem lauten Lachen. Noch während das kühle Nass aufspritzt huscht von der anderen Seite eine etwas kleinere Ausgabe der Ersten ebenfalls an mir vorbei und verschwindet kopfüber in den Fluten. Unbeschwert und fröhlich, wie das eben nur Kinder können vergnügen sich die beiden blonden Strubelköpfe im Wasser wobei sie von Zeit zu Zeit die Köpfe kichernd zusammenstecken, während sie zu mir herüberschauen. Ein erneutes Rascheln genau hinter mir lässt mich erschreckt zusammenfahren. Hinter mir steht die Erwachsenenausgabe der beiden Badenden, genau so blond, genau so zersaust jedoch mit schutzigen, zerrissenen Kleidern und bis auf die Knochen abgemagert. Ihr Gesicht weist um die Nase herum einige Schürfwunden auf und an Stelle der Zähne sehe ich nur einige schwarze Stummel. Auf den ersten Blick glaube ich die Grossmutter der Kleinen vor mir zu haben. "Sprichst du deutsch" fragt sie mich in einer jung tönenden Stimme, die gar nicht zu dem Bild passt, welches ich mir von ihr gemacht hatte. Ich bejahe ihre Frage worauf sie weiterfuhr: "Dachte ich mir, als ich die Schweizerfahne an deinem Anhänger gesehen habe". Kerstin, so heisst die junge Frau, denn, so erfahre ich nun, sie ist 37 Jahre alt und die Mutter der beiden immer noch badenden Wasserratten. Wir setzen uns ins Ufergras während sie mir erklährt, dass sie mit ihrem 10 jährigen Sohn Tim und der 8 Jahre alten Tochter Malou, zusammen mit 2 Eseln vor 30 Monaten in Deutschland aufgebrochen sind um sich auf Pilgerschaft zu begeben. Weiter erfahre ich, dass sie sich fast ausschliesslich von Rohkost und meistens von dem was sie selber unterwegs sammeln und pflücken können, ernähren. Tatsächlich habe ich sie in den drei Tagen die ich in ihrer Gesellschaft verbrachte, nur die im Schlosshof gepflückte Mandeln, deren Schalen sie mit Steinen aufbrachen und eine Art Mirabelle oder Pflaume, die auf einem Baum nahe des Wehrturm wuchsen, essen sehen. Quartier bezogen haben sie mit ihren Eseln nahe der Schlossmauer auf einem Gelände wo ein Archeologenteam Ausgrabungen machten und sie dort duldeten was mich doch sehr verwunderte, aber umso besser. So habe ich es mir kurzentschlossen auf dem gleichen Gelände häuslich gemacht wobei sich schöne, saubere Holzbretter, mit welchen sie ein Grab abgedeckt hatten, geradezu als Schlafunterlage anbot. Ich gebe zu, dass das Einschlafen in dieser Umgebung in der ersten Nacht etwas gewöhnungsbedürftig war doch bald übermannte mich die Müdigkeit trotz der vielen undefinierbaren raschelnden und kratzenden Geräusche um mich herum in der Dunkelheit. Nach einem herzlichen Abschied von den Dreien resp. Fünfen (die Esel mitgerechnet) verliess ich den für mich zweitschönsten Ort dieses Landes und setzte meinen Zickzackkurs bis nach der zum einen am Meer und zum andern am südlichsten Zipfel Portugals liegenden Stadt Faro, fort. Nun musste ich sie fällen, die Entscheidung: "Wie oder wo weiter?" Und da ich mich im Moment auf kein neues Ziel festlegen konnte fuhr ich einfach mehr oder weniger der Küste entlang zuerst west- und danach nordwärts bis ich wieder in Lisboa landete um mich dann dort, man glaubt es kaum zu entscheiden, meine Reise an der spanischen Südküste fortzusetzen. Also rechtsumkehrt und wieder nach Süden. Bekanntlich führen viele Wege nach Rom und einige auch nach Faro, so finde ich doch noch eine Route im Landesinnern die ich noch nicht befahren habe und erspare es mir wenigstens, zwei mal den gleichen Weg zurückzulegen, etwas was ich bekanntlich äusserst ungern tue. Mit der Fähre überquere ich dann in Vila Real de St. António den mir bereits bekannten Rio Guadiana und lande in der Ortschaft Ayamonte wo mir am Preis für den Café con Lêche und dem Sandwich soffort klar wird, ich bin wieder auf spanischen Hoheitsgebiet. Nahe der Hafenstadt Huelva, jedoch etwas abseits vom Meer finde ich einen Campingplatz wo ich im Schatten eines grossen Baumes mein Zelt aufstellen will. Kaum habe ich den Zeltsack ausgepackt steht auch schon mein Parzellennachbar neben mir und erklärt mir wo die Sonne am Morgen auf- und am Abend untergeht, so wegen dem Schatten und so. Ich erkläre ihm, dies spiele insofern keine Rolle da ich jetzt am Abend den Schatten ja sehe und ich am Morgen schon wieder unterwegs bin, noch bevor die Sonne auf den Platz scheinen kann. Ich merke, dass er mir gerne geholfen hätte und so höre ich mir geduldig seine Schattenwurftherorie an und stelle das Zelt danach gemäss seinem Ratschlag. Punkt 2 nach dem Eintreffen auf dem Zeltplatz heisst Wäscheleine spannen denn nach Punkt 3, Douchen folgt mit Punkt 4, Velokleider waschen und zum trocknen aufhängen. Kaum habe ich also die Leine in der Hand steht Hans, so stellt er sich vor, bereits wieder vor mir, diesmal mit 2 Hakenschrauben in der Hand, zum Leine am Baum befestigen, wie er mir erklärt. Ich sage ihm, dazu brauche man keine Schrauben denn es genüge vollkommen, wenn man das Seil um den Baumstamm wickle und festbinde. Diesmal bleibe ich hartnäckig, denn ich mag es nicht wenn man Nägel oder Schrauben in lebende Bäume zwängt. Punkt 5 wird leicht abgeändert, denn anstelle etwas zum trinken zu kaufen oder holen werde ich von ihm zum Kaffee eingeladen was ich selbstverständlich dankbar annehme. Kurz darauf winkt mir mein gesellschaftsbedürftige Nachbar und bei Kaffe und "Güezi" erfahre ich einiges über das Leben dieses etwas schrulligen Wanderkauz wobei wir uns zuerst über seine Identität klar werden müssen. Wenn schon der Name Hans so gar nicht zu diesem mit südländischen Zügen ausgestattete Gesicht passte dann konnte ich noch weniger glauben, dass er ein gebürtiger Deutscher sein solle wie er mir weismachen wollte. Obwohl er zugegebenermassen gut deutsch sprach war der italienische Akzent unverkennbar und das sagte ich ihm auch. Nach einigem hin und hergeduckse war er dann zuerst Deutscher, dann aber doch etwas Italiener und zuletzt einigten wir uns auf einen Italodeutschen. Damit waren wir dann beide zufrieden, habe aber nicht herausgefunden, warum diese Geheimnisskrämerei betreffend seinem Ursprungsland. Vielleicht hängt das irgendwie mit seiner schweren Kindheit zusammen die er, gemäss seiner Erzählung in vollkommer Abgeschiedenheit unter mehr als nur ärmlichen, eher erbärmlichen Umständen verbracht haben muss. Er könne sich nicht erinnern, seinen Vater je einmal nüchtern gesehen zu haben und auch zur Mutter muss sein Verhältniss vollkommen gestörtes gewesen sein. An seine Geschwister könne er sich praktisch nicht erinnern, einmal seien sie da gewesen, dann wieder längere Zeit nicht und als er Zuhause ausbrach um nie mehr zurückzukehren habe seine Lebensart mehr animalische als menschliche Züge aufgewiesen. Von da an begann seine immerwährende Wanderschaft die Gianni, so hiess er dann letztendlich wirklich, auf mehreren Inseln in der Karibik, in verschiedenen Orten Südamerikas und in mehreren Ländern Asiens lebe liessen, nie aber länger als 3 - 4 Jahre, dann musste oder wollte er immer wieder weiter ziehen um letztendlich in Hamburg zu landen. Aus jedem dieser Orte wusste er spannende, manchmal haarsträubende Episoden, seine Worte mit wild gestikulierenden Armbewegungen unterstreichend, zu erzählendie und es war wirklich aufregend, ihm zuzuhören. Aber auch in dieser deutschen Hafenstadt blieb er gerade einmal 3 Jahre, liess eines Tages alles stehen und liegen, stieg mit dem allernötigsten Gepäck ins Flugzeug und flog hierher nach Spanien. Warum er immer nur so kurz an einem Ort blieb um dann Hals über Kopf weiterzuziehen habe ich in dieser Nacht nicht erfahren. Wäre ich länger in seiner Nachbarschaft geblieben, und das hätte ihn, wie er mir beim Abschied versichert sehr gefreut, hätte er mir dies und sicher noch mehr aus seinem Leben offenbart. Ich glaube gemerkt zu haben, dass es ihm sichtlich gut tat, jemandem seine Lebensgeschichte erzählen zu können aber vielleicht tat er das ja auch bei jedem der ihm zuhörte, ich weiss es nicht. Meine eigene innere Unruhe drängte mich aber auch nach weiter und so verliess ich Gianni mit seinen abenteuerlichen Geschichten am frühen Morgen, er stand übrigens als ich aus dem Zelt kroch schon mit einer dampfenden Tasse Kaffe vor dem Zelteingang, um meine Reise fortzusetzen. Ich folge der Küstenstrasse, vorbei am Industrie- und Hafenquartier und erreiche am späteren Vormittag die ersten Fereinhaussiedlungen am Meer. Die Strassen sind mit Sonnenschirm, Liegematte, Schwimmgurt und anderen Strandutensilien ausgerüstete Badegäste schon recht bevölkert und meine Nase umwehen Gerüche aus einer Mischung von Sonnencréme und gegrillten Sardinen. Wem es gefällt,der findet hier fast alles, vom Suppermarkt zum Kino, von der Boutique zum Luna Park, von der Bar über das Speiserestaurant zur Disco. Selbstverständlich gibt es auch noch den Strand un das Meer. Was man leider nicht finden kann sind die Schönheiten der Natur, denn diese wurden grosszügig und rigoros vermauert und zubetoniert und auch die Ruhe bleibt ein unerfüllbarer Wunsch auf dem Ferienwunschzettel. Auf alles andere hätte ich verzichten wollen aber gerade auf diese beiden letzteren Punkte nicht. So war für mich noch vor dem Mittag klar, mein Weg konnte nicht an dieser Küste weiterführen. Dieser Entscheid trifft sich gut mit dem Umstand, dass die Küstenstrasse nach wenigen Kilometern, am Rande der "Doñana" nordwärts ins Landesinnere führt um dieses, im Mündungsdelta des "Guadalquivir" gelegene und 75'000 Hektar grosse Naturschutzgebiet grossräumig zu umfahren. Die aus den drei verschiedenen Landschaftsformen: dem sandig-trockenen Heideland mit festen Dünen ("cota"), dem sich um etwa fünf Meter jährlich bewegenden Wanderdünen im Küstenstreifen ("dunas móviles") und dem feuchten Marschland ("marisma") bestehende "Doñana ist auf Grund ihrer geographischen Lage eine von vielen Vogelarten genutzte Zuflucht, was ihr eine herausragende Bedeutung für Überwintern, Durchreise und Aufzucht verleiht. Manchen Vogelarten, wie zum Beispiel den Wildgänsen, dient sie gar als wichtigstes Überwinterungsgebiet innerhalb Europas. Im Laufe der verschiedenen Jahreszeiten lassen sich hier mehr als 300 unterschiedliche Vogelarten beobachten. Einige dieser Vögel, unter andrem der Kaiseradler, das Purpurhuhn, Flamingos, Störche, Löffelschnäbler und viele Arten deren Name ich leider nicht kenne, habe ich während einer gebuchten Exkursion mit einem Naturschutzaufseher selbst beobachten können. Dieser einzigartige, 1994 von der Unesco zum Welterbe der Menschheit erklärte Naturschutzpark, in welchem nebst den Vögeln auch Rehe, Wildpferde, Füchse, Biber und vor allem auch der vom Aussterben bedrohte Iberische Luchs ihren Lebensraum haben wird aber leider immer wieder von der unersättlichen Geldgier einiger Menschen bedroht. 1986 starben zum Beispiel mehr als 50'000 Vögel an den bedenkenlos über die angrenzenden Felder ausgestreuten und z.T. schon seit längerem verbotenen Pestiziden und Herbiziden die in die flachen Gewässer gesickert sind und 1998 brach ein aus spargründen schlecht gesicherter Damm eines Rückhaltebeckens der nördlich gelegenen Aznalcóllar-Erzmine und 5 Mio. Kubikmeter säure- und schwermetthaltiges Wasser und Schlamm wälzte sich Richtung Park. Nur dank dem Einsatz von tausenden von freiwilligen Helfern die unter Aufwand von enormem Arbeits- und Geldaufwand Notdämme aufschütteten, konnte der Grossteil der Katastrophe abgewendet werden. Die Langzeitfolgen sind jedoch noch nicht absehbar. So ist es nicht verwunderlich dass sich Naturschützer und Landarbeiter in der Umgebung sich des öftern in die Haare geraten und die Naturfreunde sind gemäss ihrer eigenen Aussage bereit, die "Doñana" bis zu ihrem letzten Atemzug zu verteidigen. Dieser Kampf wird nicht einfach sein, das bin ich mir bewusst, aber es stimmt mich versöhnlich und zuversichtlich zu wissen, dass es Menschen gibt die bereit sind, sich für die Interessen der Natur und da gehören wir alle ja dazu, auch wenn das erstaunlicherweise oftmals von gewissen Erdgenossen vergessen wird, einzusetzen.

Vor lauter "Doñana" habe ich jetzt der Geschichte aber vorgegriffen, denn noch befinde ich mich auf dem Weg nordwärts zu meinem nächsten Übernachtungsplatz. Diesen finde ich auf dem Camping von "El Rocio", der ersten Ortschaft, die ich seit verlassen der Küstenstrasse antreffe. Schon von weitem leuchtet mir ein weisser Kirchturm entgegen, weiss aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es sich hierbei um die mir von einem Freund angekündigte Wahlfahrtskirche "Santuario Nostra Signora del Rocio" handelt an deren Fassade hunderte von Schwalben ihre Nester haben. El Rocio selbst ist ein Städtchen mit einer ganz speziellen Charakteristik, sind doch all seine Strassen, Wege und Plätze unbefestigt und bestehen nur aus Sand. Vor jedem Haus ist strassenseitig eine Art gedeckte Veranda deren Böden und Wände mit schönen, bunten keramischen Platten belegt sind und den Bewohnern ein schattiges Plätzchen vor dem Haus bieten. Auffallend ist auch, dass vor sämtlichen Häusern Haltestangen für die Pferde im Boden befestigt sind, verwundert aber nicht wenn man weiss, dass "El Rocio" 1992 zum internat. Ort des Pferdes erklärt wurde und "Der" Ort ist, wo die berühmten "Andalusier-Pferde" gezüchtet werden. In der Pfingstwoche findet zudem das zweitgrösste Fest der Welt mit 1,5 Mio Menschen und ca. 100'000 Pferden statt und am 26. Juni werden ca. 3'000 Wildpferde aus den Marismas, das sind die Feuchtgebiete zwischen El Rocio und dem Atlantik, nach Almonte, einem 15 Km von Rocio gelegenen Ort zum Pferdemarkt getrieben. Dieser Ort war mir jedenfalls gleich sympatisch auch wenn ich beim Versuch zur Kirche zu fahren schon nach wenigen Metern im Sand stecken blieb und das Rad den Rest des Weges schieben musste. Doch bevor ich auf den Campingplatz fahre ist es höchste Zeit diesen Bericht über Portugal abzuschliessen, schliesslich befinde ich mich bereits seit 2 Tagen wieder in Spanien.

Doch zuallerletzt möchte ich doch noch eines festhalten. Wie auch immer ich in meinen Berichten Orte oder Menschen beschreibe, was ich jeweils empfinde, ob im positiven oder negativen, so ist es doch immer meine ganz persöndlichen Ansicht, die durch den Moment entsteht. Eindrücke sind wie Momentaufnahmen und werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst wie Stimmung, Gemütslage, Tageszeit, Wetter, Kontakt mit den ersten Menschen denen man an diesem Ort begegnet und anderes mehr. Viel wesentlicher als was mein Auge sieht oder Ohr hört ist was ich in dem Moment fühle. Das Gefühl entscheidet letztendlich alles und ist für mich daher so enorm wichtig, nein das Wichtigste überhaupt. Es wäre mein Wunsch, dass die Menschen sich getrauen würden, mehr Gefühl zu zeigen und es nicht aus Überlegung oder taktischen Gründen zu verstecken oder unterdrücken, weder vor den Anderen noch vor sich selbst.

"Was suche ich denn hier eigentlich noch. Werde ich je Antwort auf diese Frage bekommen?" Diese Frage habe ich mir kurz vor der Grenze zu Portugal gestellt. Nun habe ich das Land wieder verlassen und vielleicht wird es einemal eine Antwort geben, vielleicht! Doch mein Gefühl sagt mir dass ich wahrscheindlich noch lange auf diesem Weg werde fahren müssen um sie zu erhalten. Unter Umständen bis ans Ende meines Lebens. Und! Was würde das für eine Rolle spielen?

Ich umarme Euch alle, Curi



 

 
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