Pilgerweg
Heute bin ich in Santiago de Compostela eingetroffen.
Es ist der 08. Juni 2004 und meine Reise ans Ziel
aller Pilger auf dem Jakobsweg hat 30 Tage gedauert.
Bei der im Nordwesten Spaniens, an der Küste
Galiciens liegende Stadt vermutete man zur Zeit der
Römer das Ende der Welt. In dieser Zeit erhielt
auch der in der Nähe liegende Küstenort
"Cap Finisterre" (Ende der Welt) seinen
Namen. Seit über tausend Jahren sind Millionen
von Christen dem Jakobsweg folgend, zur Kathedrale
von Santiago, wo das Grab des Apostels Jakobus unter
dem Altar liegen soll, gepilgert. So jedenfalls weiss
es die Legende. Schon früher gab es Stimmen,
die diese Legende bezweifelten, aber das hat die Gläubigen
nie abgehalten nach Santiago zu pilgern. Im Gegenteil,
sie haben diese Stadt nach Rom und Jerusalem zur drittwichtigsten
Pilgerstätte der Christenheit gemacht. Man sagt,
die Kathedrale von Santiago sei kein totes Kulturobjekt,
sondern ein Haus Gottes, in dem sich die Menschen
wohlfühlen sollen und dessen Schönheit nur
den einen Sinn hat, schon auf Erden etwas vom Glanz
des Himmels sichtbar werden zu lassen.
Letztes Jahr war auch für mich die Pilgerreise
hier zu Ende und ich begab mich per Flugzeug zurück
in die Schweiz. Dieses Mal ist die Ankunft hier nichts
weiter als ein Zwischenhalt auf meiner Reise nach
Irgendwo, einer Reise die ich am 10. Mai Zuhause in
Oberwangen begann und von der ich nicht weiss wohin
sie mich führen wird.
Mein Rücken machte mir schon eine Zeitlang echte
Probleme und das Tragen eines Rucksack, wie ich es
beim Radfahren gewohnt war, war für meine Bandscheiben
auch nicht gerade Medizin. Bei einer Fahrt ins Tessin
über die Ostertage, wie gewohnt mit Rucksack
und Bike, wurde es offensichtlich; das mit dem Rucksack
sollte ich besser vorläufig vergessen, über
längere Strecken sowieso. Hausarzt und Shiatsu-Therapeutin
empfahlen mir besorgt, mich doch nach einer anderen
Transportmöglichkeit für das Gepäck
umzusehen. Die Empfehlung dieser beiden wunderbaren
Menschen, die mir in der schweren Zeit von Sandras
Krankheit und auch danach so viel geholfen haben woführ
ich ihnen immer dankbar sein werde, nahm ich sehr
ernst. Gepäckträger und jegliche Art von
Packtaschen welche überall ums Fahrad herum montiert
werden können waren die eine, ein Anhänger
die andere Möglichkeit. Mit beidem konnte ich
mich schlecht anfreunden, denn sie bedeuten auf jeden
Fall eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
Wer mit dem Bike auf Berg-, Fuss- und Wanderwegen
unterwegs ist weiss, wie oft man das Rad über
im Weg liegende Hinternisse wie Baumstämme, grössere
Felsenbrocken, Zäune oder Ähnliches hinwegheben
muss. Da ist man froh, wenn das Fahrrad möglichst
leicht ist und nicht noch weiss Gott was alles dranhängt.
Thomas und Markus Binggeli von Thömus Veloshop
die ich schon lange kenne rieten mir in meiner Unentschlossenheit,
mich für einen Anhänger zu entscheiden.
Man kann ihn mit wenigen Handgriffen leicht vom Fahrrad
entfernen und die durch das Gewicht des Gepäckes
verursachten Schläge beschränken sich auf
den Anhänger und lassen das Bike praktisch unbehelligt.
So entschliesse ich mich quasi im allerletzten Augenblick,
nicht ganz glücklich aber der Not gehorchend
für diese Alternative.
Eigentlich weiss ich gar nicht, wohin mich die Reise
führen soll. Bekannt als "Gfrörli"
war jedoch klar, dass es südwärts gehen
würde und da ich mich nun mal für eine Startrichtung
entscheiden musste beschloss ich fürs este nochmals
den Pilgerweg nach Santiago zu befahren. So starte
ich noch vor Tagesbeginn meine Reise Richtung Tafers.
Als die ersten Sonnenstrahlen den Tag begrüssen
befinde ich mich bereits kurz vor der Stadtmauer von
Freiburg. Um die Erfahrung des letzten Jahres klüger,
trage ich das Bike nicht mehr die steile Treppe in
die Altstadt hinunter um auf den anderen Seite wieder
den steilen Aufstieg zu bewältigen sondern wähle
diesmal den bequemeren Weg über die grosse Brücke.
Als Gegenleistung darf oder muss ich in der Zwischenzeit
eine neue Erfahrung machen. Das fahren mit dem Anhänger.
Das einzige Mal wo ich dieses Zusatzfahrzeug am Fahrrad
hatte, war am Tag, als ich ihn bei Thömus Veloshop
abholte. Bei der kurzen Probefahrt nach Hause fand
ich, es sei viel weniger schlimm als ich befürchtet
hatte. Nur hatte ich ausser Acht gelassen, dass er
dabei noch Leer war. Nun mit meinem Gepäck beladen
sieht das ganze anders, ganz anders aus. Der nur mit
einem Rad ausgerüstete Anhänger will mich
samt Bike immer auf die eine oder andere Seite kippen
und ich muss mich echt bemühen, die Balance zu
halten. Und dann erst noch beim ersten Aufstieg. Ich
habe das Gefühl, als versuche mich irgend jemand
am Sattel zurück zu halten. Irgendwie hatte sich
eine fixe Idee in meinem Kopf eingenistet mit welcher
Geschwindigkeit und Tagesleistung meine Reise ablaufen
sollte und beides war mit dem Anhänger wirklich
nicht zu schaffen, da war ich mir sicher. Ich war
in diesen Leistungszwang so versessen, dass ich sogar,
wenn ich mich mal etwas verfahren hatte, keine Pause
mehr einlegte um diese Zeit wieder aufzuhohlen. Heute,
wo ich dieses Schreibe ist mein Verhalten selbst für
mich kaum noch zu verstehen so unglaublich ist es,
aber leider trotzdem war. Damals war es allerdings
noch anders und alles in allem, was den Anhänger
betrifft ein warer Frust. Ich war überzeugt,
nun definitiv die falsche Wahl getroffen zu haben.
Ich tröstete mich mit dem Gedanken, der Anhänger
sei nun halt mein Kreuz, das ich auf dieser Reise
zu tragen hätte. Ich weiss, ein schwacher Trost,
aber immerhin einer.
In der Nähe von Lausanne ist klar, bei Sandras
Tante in Genf gibts einen Zwischenhalt und dann gehts
beim Gepäck nochmals ernsthaft über die
Bücher. Gerade der Anhänger hatte mich entgegen
meiner ursprünglichen Absicht nähmlich verleiten
lassen das eine oder andere mehr mitzunehmen. Nicht
viel, aber etwas mehr Toilettenartikel, zwei oder
drei kleine Büchlein, der bessere Fotoapparat,
etwas Reservewäsche und einige andere Kleinigkeiten.
Genau das alles blieb in Genf zurück und so hatte
ich genau das gleiche Gepäck wie ein Jahr zuvor
mit meinem Rucksack. Einzig das kleine Einerzelt und
der Anhänger waren zusätzlich dabei und
an Stelle des Rucksack hatte ich nun die Gepäcktasche.
So überquere ich die Grenze zu Frankreich mindestens
um zwei Kilo leichter und das macht sich doch recht
bemerkbar. Weiter geht die Reise immer mehr oder weniger
in südwestlicher Richtung, unterhalb von Lyon
und St.Etienne vorbei nach "Le Puy en Velay".
Danach folgt Figeac, Cahors, Moissac bis Condom. Hier
verlasse ich nun den Pilgerweg und fahre südwerts
nach Lourdes. Die Tage und vor allem die Erlebnisse
in Lourdes halfen mir sehr, etwas von meiner alten
und seit längerem vermissten Gelassenheit wieder
zu finden und damit auch die Bereitschaft, die Dinge
vermehrt wieder so anzunehmen wie sie sind. In Lourdes
haben der Anhänger und ich Freunschaft geschlossen
und jetzt bin ich sogar froh um ihn. Heute würde
ich ihn nicht mehr hergeben und beim fahren selbst
bemerke ich ihn meistens gar nicht mehr. Ich habe
mich an das mit ihm mögliche Tempo gewöhnt
und akzeptiert.
Nicht zum ersten Mal zeigt sich, dass das Problem
nicht irgendwo, in diesem Falle beim Anhänger,
sondern bei mir selbst zu suchen ist. Dies zu ändern
ist ja auch einer der Gründe meiner Reise. Die
Zeit wird zeigen mit welchem Erfolg.
Mit dieser neuen Einstellung überquere ich den
Somport-Pass und damit die spanische Grenze ohne Mühe.
Im Tal angekommen gehts weiter nach Jaca wo ich wieder
auf den Jakobsweg treffe dem ich dann westlich Richtung
Pamplona folge. In Sangüesa verlasse ich ihn
erneut südwärts und fahre zum Naturschutzgebiet
von "Las Bardenas".
Wenn Navarra das Land der Kontraste ist, dann ist
dieses Naturschutzgebiet sein extremster Ausdruck.
Im Ausland fast völlig aber auch den meisten
Spaniern gänzlich unbekannt, erstreckt sich diese
Wüstenlandschaft im Norden der Iberischen Halbinsel
über 415 Quadratkilometer. Ein faszinierendes
Naturphänomen mit spektakulären Landschaften
zwischen den Flüssen Aragon und Ebro in deren
Zentrum sich die weissen Bardenas, deren Namen von
den grossen Mengen an Salz- und Gipselementen herrührt,
befindet. Ein Stück Sahara, dessen Gesicht durch
die Erosion ständig wechselt und jedes Bikerherz
höher schlagen lässt. Wer das Extreme sucht
oder eine wilde Naturlandschaft liebt, kommt hier
ob als Naturliebhaber, Wanderer oder Biker mit Garantie
auf seine Kosten. Ich jedenfalls habe während
dreier Tage kreuz und quer abgefahren was ich konnte
und hatte nicht wenige Male das Gefühl irgendwo
im Grand Canyon unterwegs zu sein. Es hätte mich
nicht gewundert wenn nach einer Biegung plötzlich
einige Indianer auf ihren Mustangs vor mir aufgetaucht
währen.
Im Süden dann findet man die grösstenteils
aus rotem Sand- und Kalkgestein bestehenden "Schwarzen
Bardenas" und im Norden das Tafelland "El
Plano" mit dem Stausee Ferial, Lebensraum sehr
vielen Vogelarten. Einen wunderbaren Ausblick kann
man vom "Alto de Aguilares" (Adlerhöhe)
geniessen.
Fast hätte ich noch was vergessen. Während
der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in dieser beeindruckenden
Landschaft hatte ich Gesellschaft. Etwa 5 Km vor Erreichen
des Naturschutzgebietes, der Weg führte gerade
bergauf, wurde ich auf ein tippelndes Geräusch
begleitet von einem gleichmässigen Hecheln aufmerksam.
Ich drehte den Kopf und bemerkte einen kleinen Hund
der krampfhaft versuchte, mit mir Schritt zu halten.
Woher der so urplötzlich aufgetaucht war blieb
mir ein Rätsel. Zuerst beachtete ich ihn nicht
weiter und setzte meine Fahrt unvermindert fort. Nach
weiteren ein bis zwei Kilometern, das hecheln war
nun unüberhörbar laut, gequält und
schnell geworden, hatte ich bedauern mit diesem braunen
Geschöpf und hielt an. Soffort blieb auch das
kleine Etwas stehen und sah mich, den Schwanz zwischen
den Hinterbeinen eingerollt, mit grossen, dunklen
Rehaugen an. Ohne vom Rad zu steigen bückte ich
mich zum Boden und hielt ihm meinen Handrücken
entgegen. Ganz zaghaft, mit tapsigen Schrittchen,
den Kopf seitlich fast am Boden, kahm er ein kleines
Stückchen näher und blieb wieder stehen.
Ich ermunterte den kleinen Kerl und sprach ihm ruhig
zu, er brauche doch von mir keine Angst zu haben.
Wieder einige kleine Schrittchen. Ich hatte bemerkt,
dass er kein Haldband trug und war mir daher sicher,
einen der leider vielen herrenlos umherstreunenden
Hunde vor mir zu haben. Entgegen der mir bisher begegneten,
welche meist bis auf die Knochen abgemagert und das
Fell oft übersäht mit zahlreichen Verletzungen
in der Gegend umherhumpelten, sah dieser putzige Kleine
recht gut genährt und recht fit aus. Vielleicht
wurde er gerade vor kurzem ausgesetzt. Ich konnte
ich ihn keiner mir bekannten Rasse zuordnen. Wieder
folgten ein paar Schritte. Nun war er so nahe, dass
er mir an der Hand schnuppern konnte. Ich streichelte
ihm über sein kurzhariges, rehbraunes Fell. Soffort
legte er sich auf den Rücken und lies sich von
mir nun auch den Bauch kraulen. Nun ist's genug, entschloss
ich nach einer Weile und fuhr weiter. Soffort setzte
auch er sich in Bewegung und rannte hinter mir her.
So verflogen Kilometer um Kilometer, aber er gab nicht
auf und ich brachte es irgendwie auch nicht übers
Herz, ihm einfach davonzufahren. Jedesmal wenn ich
anhielt und er mich eingeholt hatte legte er sich
vor mir keuchend und nach Luft japsend auf den Boden.
Er tat mir richtig leid, dieser kleine Kerl. Wenn
Du schon unbedingt mitwillst, so versuche wenigstens
etwas Kraft zu sparen, sagte ich zu ihm, hob ihn auf
und setzte ihn auf den Anhänger. Dort blieb er
auch brav sitzen bis ich losfuhr, sprang aber sobald
die Fahrt begann sofort wieder auf den Boden und rannte
mir wieder hinterher. Ich fuhr extra etwas schneller,
damit er Mühe hatte mir zu Folgen, hielt dann
an und setzte ihn wieder auf den Anhänger. Dieses
Spiel wiederholte sich einige Male und jedes Mal blieb
er etwas länger auf seinem Transportplatz. Nun
schien er begriffen zu haben dass es für ihn
viel bequemer war sich transportieren zu lassen als
selber zu laufen und er so ohne sich anstrengen zu
müssen immer in meiner Nähe war. So verliess
er seinen Platz auf dem Anhänger, nachdem er
die richtige Fahrposition gefunden hatte nicht mehr.
So liess ich ihn, wenn es geradeaus oder bergab ging
auf den Anhänger aufsteigen, bergauf musste er
aber selber laufen (Tierliebe hat eben auch seine
Grenzen). So teilten wir gemeinsam Fahrzeug und Essen
und am Abend drückte er sich in der Nähe
des Feuers ganz nahe an mich und liess sich streicheln.
Ich genoss diese stillen Stunden des einnachtens und
die Gesellschaft dieses aufgeweckten und zugleich
anschmiegsamen Kameraden tat mir gut. Nacht dann,
wenn ich in den Schlafsack kroch, kugelte er sich
vor meinem Zelt zum Schlafen ein um Tags darauf mit
mir die Reise wieder fortzusetzen. Doch eine Frage
beherrschte in dieser Zeit meine Gedanken: "Was
soll ich denn bloss mit diesem Hund" Ich kann
ihn doch nicht einfach mitnehmen. Ich war nicht auf
das Reisen mit Hund eingestellt. Zudem gab es sicher
Schwierigkeiten an den Landesgrenzen und überhaupt.
Auch sind Hunde nicht auf allen Campingplätzen
erlaubt und was mache ich, wenn die Reise per Flugzeug
weitergehen soll. So gerne ich das Kerlchen gewonnen
hatte, es war zu früh und nicht der richtige
Zeitpunkt für eine solche Bindung. Nun hatte
ich ein echtes Problem denn ich brachte es auch nicht
fertig, ihm einfach davonzufahren und ihn alleine
und hilflos sitzen zu lassen. Die ganze Zeit des Fahrens
drehten sich nun meine Gedanken um dieses Thema und
es wollte sich dafür einfach keine Lösung
finden lassen. Gegen Abend des dritten Tages fuhr
ich in langsamen Tempo an einer Bergflanke hoch während
"Bardi" (so hatte ich den Hund getauft da
er auf dem Weg zu den Bardenas aufgetaucht war) gemütlich
hinter mir her trottete. Meine Gedanken beschäftigten
sich wieder mit dem gleichen Thema als ich plötzlich
bemerkte, dass Bardi nicht mehr hinter mir herlief.
Ich hielt an und schaute mich nach ihm um. Weit konnte
er nicht sein, ich hatte ihn vor kurzem noch neben
mir herlaufen gesehen. Nirgends zu entdecken. Ich
wendete und fuhr den Hügel wieder ganz hinunter
während ich seinen Namen rief. Weit und breit
keine Spur vor Bardi. Er verschwand aus meinem Leben
so plötzlich und unerwartet wie er aufgetaucht
war und nahm damit die Entscheidung was mit ihm passieren
sollte einfach selber in die Hand oder besser gesagt
in die Pfote. Ob er etwas von meinen Gewissensbissen
geahnt oder gewusst hatte oder warum auch immer, ich
weiss es nicht.
Die Bardenas verlasse ich nordwestlich, kreuze in
der Stadt Burgos den Pilgerweg und stelle mein Zelt
für diese Nacht in "Aquilar de Campóo"
respektive am Ufer des gleichnamigen See. Am nächsten
Morgen erreiche ich über den ersten Pass, den
"Puerto des Pietrasluengas" den sich parallel
zum Atlantischen Ozean hinziehende Gebirgszug der
"Cordillera Cantábrica" (Kantabrisches
Gebirge) mit seinem bekanntesten Gipfel, den "Pico
de Europa" der seinen Namen von den aus Nordwesten
her kommenden Seefahrer, die vom Festland als erstes
seinen Gipfel wahrnahmen, bekommen hat. In der Folge
befahre ich sämtliche Täler und überquere
alle Pässe in diesem Gebiet um letztendlich tief
beeindruckt von der wilden Schönheit dieser Gegend
das Gebirge über den (Puerto de San Isidro) und
entlang dem See (Embalse de Porma) wieder zu verlassen.
In besonderer Erinnerung wird mir nebst der wunderschönen
Bergwelt, die besondere Atmosphäre einer intensiven
Alpwirtschaft bleiben. Auch hier gab es die Früh-
und Späteraufsteher. Während ich schon am
sehr frühen Morgen einige beiendander und bereits
heftig diskutierende Hirten antraf traten andere erst
bei bereits ziemlich fortgeschrittener Morgen- oder
man kann auch sagen früher Mittagsstunde mit
wirr zersauter Haarpracht und die Hemdstösse
noch ausserhalb der Hosen aus ihren Alphütten.
Schön anzusehen waren auch die im Licht der aufgehenden
Sonne satt grün leuchtenden Alpwiesen bevölkert
von braunen Kühen mit ihren grossen, treuherzig
blickenden Kulleraugen und den schönen, langen
Wimpern. Für mich persöndlich sind die "Braunen"
sowieso die schönsten Kühe überhaupt.
So war der Besuch der "Picos" eine grosse
Bereicherung meiner Reise und ich bin froh, mich zu
diesem Abstecher entschlossen zu haben.
In Boñar schlage ich die Richtung nach Leon
ein, von wo aus ich wiederum dem Jakobsweg bis nach
Santiago de Compostela folge. Dazwischen liegt noch
der Aufstieg zum "Cruz de Ferro" und die
letzte Barriere, der Gebirgszug der Cordilleren mit
dem von den meisten Pilgern als "piece de resistance"
angesehenen Pass, dem "Cebreiro". In Leon
ist es auch, wo der Pilgerstrom gar nicht mehr abbrechen
will und fast Ähnlichkeit mit einer Volkswanderung
bekommt. Ich hatte tatsächlich nicht damit gerechnet,
dass sich das heilige Jahr sich so auf die Pilgerschaft
auswirken würde. Dauernd war ich nur noch am
klingeln aber die Wanderer hörten es nicht oder
ignorierten es ganz einfach. Hier wurde die von mir
festgestellte Rivalität zwischen den zu Fuss
marschierenden und den Rad fahrenden Pilgern offensichtlich.
Um nicht provozierend zu wirken entschliesse ich mich
den "camino" zu verlassen und suche mir
meine eigenen Wege um die restliche Strecke zurückzulegen.
Gerade die genannte Rivalität war die Ursache
die mich veranlasste meine Vorstellung von einem Pilger
bereits während meiner ersten Reise nach einigen
ersten Begegnungen gänzlich zu revidieren. Eigentlich
hatte ich mir eingebildet, gerade bei einem Pilger
im Grundsatz christliche Tugenden, wie Hilfsbereitschaft,
Nächstenliebe oder auch etwas Demut anzutreffen.
Dass der Sinn einer Pilgerfahrt, mit Ausnahme sie
diene dem Einlösen eines Versprechens (Gelübte),
die Auseinandersetzung mit sich und seinem Leben sei
und dass die Reise letztendlich dazu diene, die dazu
erforderliche Zeit und Musse bereitzustellen. So spielt
es dann letztendlich überhaupt keine Rolle, wie
man diese Reise bestreitet. Hauptsache, sie entspricht
den eigenen Vorlieben sowie der vorhandenen Fähig-
und Möglichkeiten. Nicht jedermann ist es vergönnt
drei Monate, und soviel Zeit braucht es um den Jakobsweg
von der Schweiz aus bis nach Santiago zu Fuss zurückzulegen,
Ferien zu bekommen. Vielleicht sprechen auch finanzielle
Gründe daführ, diese Reise auf mehrere Male
aufzuteilen. Vielleicht möchte man mit dem Rad
fahren, hat aber die Kondition nicht, sämtliche
Pässe zu überfahren und lässt sich
mit dem Auto den Berg hinauftransportieren, oder man
kann im Massenlager bei den vielen Schnarchern einfach
nicht schlafen und muss in ein Hotelzimmer ausweichen.
Vielleicht ist es einem ganz einfach zu einsam den
ganzen Weg alleine zu gehen und schliesst sich lieber
einer organisierten und geführten Tour an. All
das spielt keine Rolle. Wenn es letztendlich für
den Pilger stimmt, er die inverstierte Zeit gut hat
nutzen können und er am Ende die Gewissheit hat,
seinem Wunsch oder Ziel näher gekommen zu sein,
hat sich die Pilgerreise auf jeden Fall gelohnt.
Angetroffen habe ich aber in den meisten Fällen
Menschen, deren Zielsetzung eine ganz andere war.
Bei diesen war vor allem wichtig, wieviele Kilometer
pro Tag zurückgelegt werden. Wieviele Stempel
sie sich ins Pilgerbüchlein haben eintragen lassen.
Wie oft sie den Weg bereits begangen sind von links
nach rechts, von rechts nach links, von oben nach
unten, von unten nach oben usw. usw. Die welche am
Morgen sehr früh starteten, nicht etwa, weil
es am Morgen besondrs schön ist zu reisen, sondern
wie sie selber sagen, wer zuerst kommt, malt zuerst,
d.h. wer zuerst in der nächsten Pilgerherberge
ankommt hat ein Bett, der später Ankommende vielleicht
das Nachsehen. Sie beachten niemand und bringen es
fertig, im Schlafraum weder mit dem Bettnachbar zur
rechten noch mit dem zur linken Seite auch nur ein
Wort zu wechseln, mit Ausnahme sie finden dort jemanden,
bei dem Sie mit Ihren "Leistungsangaben"
auf offene Ohren stossen. Ja, es geht sogar so weit,
dass sie etwas unbeholfene oder unkundige Pilger wissentlich
in die falsche Richtung gehen lassen und freuen sich
währscheindlich insgeheim, ihen dadurch einige
Stunden Vorsprung abgeknöpft zu haben. Beim Aufstieg
zum "cruz de ferro", haben mich zwei spanische
Radfahrer kurz bevor ich das Kreuz erreichte überholt.
Etwas später folgten zwei Belgier und ein Hölländer
ebenfalls auf Fahrrädern, fluchten und schipften
total aufgebracht und erklärten mir, die Spanier
hättet betrogen und die Fahrräder mit dem
Auto bis kurz vor den Gipfel hochgefahren. Sie hätten
sie gerade beim Ausladen erwischt. Ich sagte ihnen,
ich könne keinen Betrug erkennen. Ob wir denn
an einem Rennen teilnehmen würden, denn davon
wüsste ich gar nichts. Daraufhin liess ich sie
stehen und konnte nun endlich den beiden Spaniern
das Erinnerunsfoto mit ihrem Apparat machen, um welches
sie mich gerade noch vor dem Eintreffen der anderen
gebeten hatten. Leider liesse sich diese Aufzählung
noch um einiges erweitern und hat mich letztendlich
zur Überzeugung gebracht, dass die enorme Zunahme
der Pilger auf dem Jakobsweg nichts damit zu tun hat,
dass die Menschen christlicher geworden währen
sondern es je länger je mehr zum guten Ton gehört
erzählen zu können, man hätte den Jakobsweg
auch begangen. Vielleicht sogar mehrmals, mit Streckenreckord
und allem was dazu gehört.
Gott sei Dank gibt es auch hier die bekannten Ausnahmen,
welche die Regel bestätigen. An diesen habe ich
versucht mich zu halten und sie sind zum Teil auch
mitverantwortlich, dass für mich das Befahren
des Jakobsweg letztendlich und trotz allem eine grosse
Bereicherung gewesen ist, auch wenn ich vielleicht
in den Augen von vielen nie ein "echter"
Pilger gewesen bin.
Was mich auf diesem Abschnitt besonders erfreut
hat; Sind die Rinderherden auf den enorm grossen Weideflächen
wo Kühe, Rinder, Kälber und Stier wie es
ihrer Natur entspricht in einer grossen Herde gemeinsam
ihr Leben verbringen können. Wenn ich an ihnen
vorbeifuhr hatte ich immer das Gefühl, hier wirklich
glückliche Tiere zu sehen.
Was mich bedrückte; War der Anblick der vielen,
sehr vielen Kettenhunde, kurz angebunden, oftmals
an Ketten die nicht einmal ein ausgewachsener Stier
zerrissen hätte. Bei meinem Anblick bellten sie
wie verrückt, manchmal bereits mit heiserer Stimme,
warfen sich mit aller Kraft in die Kette, versuchend
sich von ihr zu befreien was ihnen sicher schmerzhafte
Verletzungen am Hals verursachen mussten. Um ihre
Qual zu verkürzen bemühte ich mich immer
so schnell als möglich aus ihrem Blickfeld zu
gelangen. Trotzdem drang ihr Bellen noch lange Zeit
an mein Ohr.
Was mich nachdenklich stimmte war; Wenn ich mal eine
Passstrasse aus Mangel an Alternativen befahren musste
die gleichzeitig eine Hauptverkehrsachse war und daher
von vielen Fernfahrer benützt wurde war der Strassengraben
oftmals regelrecht übersäht von mit Urin
gefüllten Plastikflaschen. Nicht einzelne sondern
zu hunderten lagen sie da und ich fand ihren Anblick
nicht nur ekelhaft sondern es stimmte mich nachdenklich
und traurig, wie gedanken- und rücksichtslos
mit der Schöpfung umgegangen wird, ob nun die
Zeit zu einem kurzen Halt nicht reicht, weil die Kraftfahrer
von ihren Arbeitgebern immer unter Zeitdruckgesetzt
werden oder ganz einfach aus unbegreiflicher Faulheit.
Was ich genossen habe; War der erste Milchkaffe am
Morgen in der Dorfbar zusammen mit den Frühaufsteher
des jeweiligen Ortes. Der feine Geruch von geröstetem
Kaffee und frischen Backwaren in der Nase versuchte
ich den oftmals angeregten Diskussionen irgendwie
zu folgen. Fragte ich einmal nach dem Weg hatte ich
soffort eine Traube dieser sehr einfachen, aber freundlichen
und hilfsbereiten Menschen um mich und jeder wollte
die zu befahrende Strecke besser erklähren können
als der andere woraus dann meistens gleich eine neue
Diskusionsrunde entbrannte. Musste ich auf diesen
Frühkaffe verzichten weil in dieser Gegend einfach
keine geöffnete Bar aufzutreiben war und gabs
daher den ersten Kaffee erst am späteren Morgen
war es nicht mehr dasselbe. Irgendwie waren es nicht
mehr die gleichen Menschen, meistens Leute die eine
Arbeitspause einlegten und auch die Stimmung war ganz
anders. Alles war hecktischer und musste schnell gehen.
Bestellen, trinken bezahlen und wieder weg. Vielleicht
bildete ich es mir einfach nur ein, jedenfalls empfand
ich es so.
Was ich vermisste; War alles was ich zurückgelassen
habe, ausnahmslos. Einiges werde ich bei meiner Rückkehr
gottseidank wieder vorfinden dürfen, doch anderes
wird für mich unwiederbringlich verloren bleiben.
Nun ist dieser Bericht zu ende und ich mittlerweilen
bereits in Portugal. Einem Portugal im Fussballfieber,
aber davon später!
herzlichst, Curi
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