Am Ziel (aber welches)
Ich hatte es gefühlt, nun weiss ich es. Mein
Ziel hatte ich am "Cruz de Ferro" bereits
erreicht. Die Gefühle, die riesigen Wogen gleich
über mich zusammenbrachen, während ich vor
dem Kreuz und dem darunter sich befindenden Steinhaufen
stand, konnten nirgends mehr grösser sein als
an diesem gesegneten Ort. Die Fahrt zum "Ende
der Welt" und die Ankunft in Santiago de Compostela
mit der sehr schönen Kathedrale und dem Grab
des heiligen Jakobus waren in dieser Hinsicht, (was
die Gefühle betrifft) eher eine Enttäuschung
und ich hatte es geahnt.
Trotzdem wollte ich diese Reise auch geographisch
so zu Ende bringen wie ich es mir vorgenommen hatte.
Nun, nachdem ich das Ziel erreicht habe, bereitet
mir das Fahren grosse Mühe. Nicht körperlich,
sondern geistig. Ich war an einigen schönen Ortschaften
am Meer, fuhr über einige in wunderschöner
Landschaft eingebettete kleine Pässe und war
im alten Hafen und in der Altstadt von "La Coruna".
Vergebens. Irgendwie habe ich die Orientierung und
somit die Motivation verloren. Etwas anderes habe
ich an deren Stelle erkannt. Sandras Anwesenheit findet
man nicht in der beeindruckenden Grösse des Klosters
von Samos noch in der reich geschmückten Kathedrale
von Santiago.
Nicht Orte mit hervorragenden Eigenschaften wie Grösse,
Schönheit, Reichtum oder Bekanntheit sondern
Stellen wo die Gefühle den wichtigsten Platz
einnehmen sind Orte wo man Sandras Anwesenheit mit
ganz besonderer Deutlichkeit spüren kann. Die
Gefühle und an oberster Stelle die Nächstenliebe
waren Sandra schon während ihrem Leben immer
das wichtigste. Alles andere war nebensächlich.
Hoffnung und Glaube bei den Kranken von Lourdes, Trost
und Besinnung im Kirchlein für die verstorbenen
Pilger in Eunate, Verzweiflung und Trauer am "Cruz
de Ferro". An all diesen Orten habe ich Sandras
Anwesenheit und einzigartige Liebe so stark und real
gespürt, als müsste ich sie anfassen und
umarmen können. Heute weiss ich auch, dass Gott
diese einzigartige Frau an meine Seite gestellt hat,
damit ich durch sie seine ganze Liebe erfahren durfte.
Diese einzigartige, reine, allumfassende und bedingungslose
Liebe von welcher man süchtig werden konnte.
Und mein Gott, ich war süchtig danach. So sehr,
dass ich glaubte nach Sandras Tod nicht weiterleben
zu können. Ihre Liebe war unerschöpflich.
Je mehr sie mir, je mehr sie uns allen davon gab,
desto mehr hatte sie zum verschenken. Und sie tat
es aus ganzem Herzen. 30 Jahre lang hat sie mich und
uns alle mit dieser Liebe förmlich überschüttet
und uns damit Gottes Liebe zu uns Menschen offenbart.
Und sie beschenkt uns mit ihrer Liebe auch weiterhin,
wenn wir sie nur annehmen wollen. Wir wollen Sandra
für dieses wertvolle Geschenk dankbar sein und
uns ihrer würdig erweisen. Wir erhalten jeden
neuen Tag Gelegenheit dazu. Nun weiss ich, was mich
von Zuhause fortgetrieben hat, ruhelos, rastlos, immer
weiter, immer weiter. Meine Reise hatte weniger zum
Ziel etwas zu finden sondern vielmehr zu verstehen.
Ich habe verstanden.
Nun will ich nach Hause.
|